Tiger kochen
Timid Tiger und Werle & Stankowski
(02.10.2005, Roter Salon, Berlin)

Die Farbe Rot steht ja bekanntlich für Wärme, Liebe und Leidenschaft. Machen wir aus dem ersten Wort lieber "siedende Hitze" und denken uns den ganzen anderen Quatsch weg und wir haben den roten Salon (der übrigens tatsächlich komplett in rotes Licht getaucht ist) direkt vor Augen. Nun ist es ja um diese Jahreszeit so, daß es langsam kälter wird. Die Betonung liegt auf langsam! Doch die netten Menschen vom besagten Salon ritt wohl ein Gemisch aus Hyperaktivität und Umsorgnis um die Gäste, sodaß man kurzerhand die Heizung auf 24° C drehte, ohne zu bedenken, daß vor einigen Tagen noch ein angenehmer Spätsommer herrschte. Und was passiert also, wenn in einem kleinen Raum Hitze auf (Körper)Hitze stößt? Es wird ganz einfach unerträglich heiß und auch die Atemwege fangen an zu schwitzen und hören stattdessen auf zu atmen... Eine schwierige Situation, doch eigentlich war das alles völlig sekundär, wenn man bedachte, daß es den beiden Attraktionen an diesem Abend auf der Bühne dort oben noch um einiges "schlechter" erging. Außerdem war man ja wegen der Musik gekommen und da kann man das Atmen schon mal eine Weile vernachlässigen.
Vor dem Club schlängelte sich bei unserer Ankunft schon eine beachtliche Schlange von mindestens 300 Leuten zur Eingangstür, was ja auf den ersten Blick nichts Verwunderliches ist. Doch in Anbetracht des Bekanntheitsgrades beider Bands und der bekannten Faulheit der Berliner schon um zehn Uhr abends vor einem Club anzustehen erstaunt das schon ein bißchen. Anscheinend hat die altbewährte Mundpropaganda noch nie seine Wirkung verloren und so strömten an diesem Abend aus allen Ecken Szene-Insider zu diesem roten Schauplatz der Gefühle.

Werle und was?

Um halb elf war der Raum bereits proppevoll und als der Toursupport von Timid Tiger, Werle & Stankowski, der die Kölner auf ihrer diesjährigen Deutschland-Tour begleitet, eine halbe Stunde später die Bühne betrat, kam man schier keinen halben Meter mehr voran. Ohne großen Soundcheck ging es sofort los, denn man hatte sich anscheinend etwas verspätet. Die beiden stellten sich als Simon Werle und Johannes Stankowski vor, der Mensch mit der Gitarre, welcher sicher Stankowski war, entledigte sich seiner Schuhe, um barfuß zu spielen, und sie begannen mit ihrem ersten Stück. Wer hätte gedacht, daß zwei Jungs aus Köln, die genau genommen noch keiner kennt, weil sie ja genau genommen auch noch nicht mal einen wirklichen Fuß richtig auf den Boden gesetzt haben, so dermaßen gut bei einem ahnungslosen Publikum ankommen würden. Dieses beklatschte und bejubelte die beiden sichtlich überraschten Musiker schon nach den ersten paar Liedern und die beiden konnten immer nur wiederholen, wie nett das doch sei. Der ja eigentlich doch schon sehr männliche Stankowski entwickelte während des Auftritts eine gewisse graziöse Art auf der Bühne zu stehen und barfuß herumzutänzeln. Und der kleine Werle mußte hinter seinem MPC zwanghaft zu jedem kleinen Beat hin- und herhüpfen, sodaß er nach einigen Stücken völlig außer Atem um ein ruhigeres Stück bat. Schon ein sehr komisches Duo diese beiden Kölner, aber Köln ist bekannt für Skurrilitäten...

Eine gute halbe Stunde performte das spezielle Duo seine Songs vom Debut "Your Show" und auch ein brandneues Lied, welches laut dem barfüßigen Sänger wohl davon handelte, daß er eines Nachts komplett betrunken nachhause kommt und seine ehemalige englische Mitbewohnerin ihm ihr trauriges Herz ausschütten will. Wenn diese Person dann auch noch vor der Entscheidung steht, sich das Leben zu nehmen oder nicht, gestaltet sich eine Unterhaltung zwischen einer Suizidgefährdeten und einem angetrunkenen Musiker in Feierlaune doch ein bißchen waghalsig... Eine gewisse benommene Stimmung machte sich kurzweilig im ganzen Raum breit, denn dieses Lied war eins der emotionsvollsten und meiner Meinung nach schönsten von allen. Doch hielt sich das Publikum nicht lange mit depressiver Haltung auf, gleich danach wurde wieder gefeiert, geschunkelt und geschubst. Nach einer Handvoll Liedern war es für die beiden leider Zeit zu gehen, doch das angefixte Publikum leistete einen lautstarken "Zugabe"-Aufstand, sodaß ihnen nichts anderes übrig blieb, als noch einen Song zum Besten zu geben. Ein sehr ernster, aber auch ein sehr schöner Song hieß es und wahrscheinlich hätte unter dieser Ankündigung keiner erwartet, daß nun eine Coverversion von Martin Kesici’s "Angel Of Berlin" kam. Zweifelsohne konnte dieser Song in solch einer Neuverpackung zu einem wirklich guten und ernstzunehmenden Werk gedeihen. Mit dieser Zugabe verabschiedeten Werle & Stankowski sich endgültig von ihrem dankbaren Publikum und verschwanden flugs im Backstagebereich.

Ein rappender Hase, zweimal Konfetti und ein bißchen Musik

Schon auf dem Populario Festival in diesem Jahr entpuppten sich Timid Tiger in Deutschland als voller Erfolg und als ein guter Geheimtip für heiße Sommertage. Doch das alles war nichts gegen den diesabendlichen Gig im Roten Salon. Anscheinend waren die "Cartoon-Popper" hier bereits bekannter, als sie selbst erwartet hätten, denn der Applaus wurde noch einmal um das doppelte gesteigert als bei W&S. Schon beim ersten Song konnte die Hälfte des Raumes den Text mitsingen. Die Mentalität, die Keshav gleich von Beginn an ins Publikum versprühte, fing sekundenschnell Feuer, denn alles im Raum bebte und vor der Bühne wurde wild getanzt. Ich hatte den Eindruck, als könnte Keshav sich auch eine geschlagene Stunde selbst entertainen. Es machte ihm sichtlich großen Spaß, trotz den gegebenen Temperaturen auf der Bühne herumzutollen und den absoluten Funk-Hampelmann zu markieren. Fast schon ein bißchen wie Alfonso Ribeiro in der Sitcom "Fresh Prince Of Bel-Air". Nun ist die Bühnenshow von Timid Tiger ja nicht gerade eine von denen, die von Auftritt zu Auftritt wahnsinnig variiert. Die Jungs haben wohl mittlerweile ein gutes Konzept herausgefunden, welches sich nur all zu gut zum Wiederholen anbietet. Alles was ich auf dem Populario sah, sah ich auch an diesem Abend (was aber auf keinen Fall schade war). Es wurde gesprungen, getanzt, Konfetti in die Luft geworfen, mit Handpuppen herumgeblödelt (Cartoon Pop eben...), ein Geburtstagslied für ein Geburtstagskind im Raum gespielt, wieder Konfetti geworfen und Wasser ins Publikum gesprengt. Als sich dann die ersten Schweißtropfen, oder sagen wir besser, Schweißbäche in ihren Gesichtern abzeichneten, baten sie hechelnd um Handtücher. Doch auf diese sollten sie noch drei Lieder über warten müßen... Gleich nachdem die Handtücher organisiert waren, wurden sie auch schon vom ebenfalls jämmerlich schwitzenden Publikum entrissen.
An diesem Abend spielten Timid Tiger neben ihren beiden Singles "Miss Murray" und "Loveboat" auch fast alle anderen Songs ihres Debuts "Timid Tiger & A Pile Of Pipers" gespielt. Als Zugabe wurde die Themen-Melodie vom Game Boy-Klassiker "Super Mario Land 1" gespielt und zwei neue Songs, die voraussichtlich auf dem neuen Album erscheinen werden (u.a. "Jim The Friendly Ghost"). Als eine knappe Stunde wie im Flug verstrichen war, waren auch Timid Tiger an den Grenzen ihrer Kräfte angekommen und mit dem Satz "Wir können echt nicht mehr!" ließen sie ihre Instrumente auf den Boden fallen und torkelten von der Bühne. Doch wie es nun mal bei einem begeisterten Publikum ist, schreit es "Zugabe!", wenn es sein muß auch bis zum Erbrechen. Und so kam Frontmann Keshav wieder zurück und stellte sich dem schwitzenden Haufen. Alles sei nun kaputt und er habe soeben fast schon Sternchen gesehen, ließ er verlauten, und doch wolle man noch einige Zugaben spielen. Der Keyboarder blendete das Theme vom Game Boy-Meilenstein "Super Mario-Land 1" ein und spielte ein wenig damit herum. Anschließend nahm Keshav seine Gitarre und performte eine Akustikversion von der B-Seite "Kelly". In der Mitte des Songs stürmte der Rest der Band auf die Bühne zurück und lenkte den Song in seine "normale" Bahn zurück. Am Ende küßten sich die beiden berüchtigten Stoffblumen, die den Song über stürmisch miteinander kopuliert hatten, und ein Hauch von Ultra-Kitsch-Romantik wehte durch den 40° C-heißen Raum. Neu war der rappende Hase im Zylinder, der die zweite Zugabe übernahm und zu einem groovenden, fast Such A Surge-artigen Beat improvisierte. Daraufhin folgte, wer hätte das gedacht, ein letzter Song mit dem die Kölner Tiger einen Abend abschlossen, der wohl jedem Besucher als warme Erinnerung sicher in den Herbst geleiten wird. Und wem es nicht gefallen hat, wird zumindest einen schönen Andenkenschnupfen mit nachhause nehmen, denn wir wissen ja: Heiß und kalt verträgt sich nicht...

Fabian Fascher

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