Der Zwei Tage-Tag

Ein kühles Nass
(...welches ausnahmsweise nicht den Namen einer mir bisweilen noch hoch verhassten Biermarke trug)

Mein Schlafdelirium hielt etwa 3 Stunden an. Um 8 Uhr schlief ich ein, um 11 Uhr wachte ich wieder auf. Doch komischerweise fühlte ich mich so wohl wie nach 10 Stunden wonnigstem Tiefschlaf. Lange darüber nachdenken konnte ich allerdings nicht, denn es war so heiß, man hätte meinen können das Zelt brennt. Während ich mit meinen Luftreserven ums blanke Überleben kämpfte, zog ich mich schleunigst an und stürmte aus diesem zeltähnlichen Schabracke heraus, um mich unten am See sofort wieder bis auf die Boxershorts zu entkleiden und ins erlösend kühle Wasser zu springen. Es war eine Erfrischung, die keine kalte Dusche dieser Welt (geschweige denn diese primitiven "Dixi-Duschen" und die dargestellen Waschräume) wettmachen kann. Einfach herrlich! Der ganze See war voll von Badenden und Leuten, die mit ihrem Boot eine Runde drehten. Man fühlte sich ein bißchen wie auf einem Hippie-Camp. Von überall her dröhnte verschiedenste Musik aus mal schlechteren Autoradios, mal besseren Ghettoblastern. Man grillte, trank und sonnte sich. Nachdem ich dieses wunderbare Privileg auf eine solch befreiende Art sauber zu werden in vollen Zügen genossen hatte, zog es mich zu den Sanitäranlagen. Es ist ja schon mal ein großer Vorteil, wenn man eigene Toiletten und Waschräume zur Verfügung gestellt bekommt, aber irgendwie waren die auch nicht besser als die anderen. Stickig und stinkend bis zum Erbrechen und sehr hilfsbedürftig ausgestattet. Plötzlich wurde mir klar, daß ich mit meiner Wahl mich im Wasser zu Vergnügen voll ins Schwarze getroffen hatte. Fertig gebürstet und gestylt und mit einem weniger schlimmern Mundgeruch (den man dort zwangläufig irgendwann bekommt) ging es mir gleich schon viel besser und ich konnte meinen zweiten Tag auf dem 'SMS' in Angriff nehmen.

A Hidden Gig And "Zu Viele Dicke Kinder"

Als ich so ahnungslos über das Gelände schlenderte, kam ich plötzlich an der Main Stage vorbei und wollte meinen Augen nicht trauen: Lamb bei ihren Proben für das abendliche Konzert!!! Ich schaute mir das eine halbe Stunde an und schoß auch, verbotenerweise, einige Photos. Besonders viel Freude bereitete es mir dem wohlklingenden Akzent der Engländer zu lauschen, den sie von Zeit zu Zeit immer wieder über die Bühne riefen.
Am Abend standen für mich 2Raumwohnung, Goldfrapp, Leeroy Thornhill und eben die wunderbaren Lamb auf dem Programm. Um die Wartezeit totzuschlagen, denn die Konzerte fingen immer erst gegen 18 Uhr an (vorher gab’s entweder nichts oder ein paar DJ’s, die die Unermüdlichen unterhielten), lief ich kreuz und quer über den Platz und beobachtete das bunte Treiben unten am Wasser. Dort konsumierten die Leute gierig Eis, Bier und alles andere was in irgendeiner Form kalt und genießbar war und vergnügten sich am Wasser oder auf dem Beach-Footballplatz, wo sich verschiedene Mannschaften mit recht amüsanten Teamnamen wie z.B. "Zu Viele Dicke Kinder" und "Erster Und Einziger FC Glam" um den Sieg schlugen. Dort planschten auch die Gäste im Wasser oder machten einen ganz besonderen Spaß mit: eine knallgelbe, aufblasbare Banane, auf der ca. 8 Leute Platz hatten wurde wasserskimäßig und mit Höchstgeschwindigkeit von einem Motorboot durch die Fluten gezogen. Wer drauf blieb hatte Glück, wer runter fiel eine nasse Hose. Der Höhepunkt unten am Wasser war aber wahrscheinlich ein größeres Schiff, das Fresh Boat, welches dort für alle Partypeople bereit stand und mehrere Male am Tag um das ganze Gelände tuckerte. Auf ihm befand sich ein Dancefloor und ein DJ-Set und eben unzählig viele Menschen in Feierlaune. Das Fresh Boat war, ich denke mal wie jedes Jahr, ein voller Erfolg. Sowie das Schiff abgelegt hatte, standen auch schon gleich wieder unglaublich viele Leute in einer langen Schlange aufgereiht vor dem Steg und sehnten scheinbar sehnsüchtig den Zeitpunkt herbei, an dem sie auch auf diese tolle Wasserdisco durften. Dieses Schlangestehen erinnerte mich ein bißchen an die Engländer... sah sehr amüsant aus.

Esoterische Sphären und knappe Höschen
oder:
Keine Kleider machen Leute

Die erste Band an diesem Abend, oder besser das erste DJ-Set war Sex In Dallas. Ich fand den Namen sehr verlockend, jedoch hatte ich mich ein bißchen zu früh gefreut. Als ich mich vor der Bühne einfand, war ich nahezu der Einzige, der dort war. Und während Sex In Dallas für mich eher langweiligen Techno auflegten, wurde im Hintergrund schon für Lamb umgebaut. Dadurch verschwand der Aufmerksamkeitsfaktor so ein bißchen im Hintergrund und der musikalische Sex wurde einfach nur zu einem netten kleinen Nebeneffekt bzw. Lückenfüller.
Und bald war es dann endlich soweit. Die glorreichen, oft ja als TripHoper betitelten Lamb mit ihrer hochesoterischen Sängerin hatten ihren großen Auftritt und ich stand total gespannt im Bühnengraben und fieberte vor allem dem Song "Angel Gabriel" entgegen, den ich am Nachmittag ja schon in Probeform genießen durfte. Das Konzert begann und die Masse tobte. Es war eine gelungene Show und Lamb hatten ihr Publikum fest unter Kontrolle. Irgendwann nahm der Gitarrist eine Bongo Trommel in die Hand und gab sich damit die Ehre. Wenig später hatte auch die Sängerin eine und das Publikum wurde (in wunderbarem englischen Akzent) dazu aufgefordert in die Hocke zu gehen. Sowie das Trommelsolo endete, schnellten alle wieder hoch und hüpften wie wild durch die Gegend. Lamb waren zwar großartig, aber ich kann mir nicht helfen, bei ihrer Probe haben sie mir ein klein wenig besser gefallen. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Das ist einfach so ein Gefühl.
Im Anschluss an Lamb gaben sich 2Raumwohnung die Ehre und stifteten eine grandiose Stimmung im Publikum an. Viele Songs wurden mitgesungen/gegrölt und irgendwann warf die Sängerin transparente Ballons in die Crowd. Wenig später, bei der Präsentation ihres neuen Erfolges "Spiel mit" stellte sie sich auf eine Art Kran und fuhr damit einmal quer durch die Menschenmasse hindurch.
Auf den Auftritt danach freute ich mich an diesem Abend am meisten. Ich kenne von Goldfrapp zwar nur das erste Album und weiß auch sehr wenig über die Band, jedoch liebe ich ihre Musik und, wie sich in wenigen Momenten herausstellen sollte, auch ihre Auftritte. Als mein Blick auf die Bühne fiel, stockte mir vor Staunen der Atem. Das Bühnenbild war herrlich. Die Sängerin stand in einem Slip, einem leichten Hemd auf dem das Peace-Zeichen gedruckt war und hochhackigen Stiefeln (für diese Wetterverhältnisse äußerst passend) gekleidet vor ihrem Mikrophon und erstrahlte dort in ihrer ganzen Erhabenheit unter den blendenden Bühnenscheinwerfern. Der Rest der Band verblaßte ein bißchen in Gegenwart ihres Daseins. Sie spielten einen Mix aus alten Sachen und neueren Werken (von denen ich leider gar nichts kannte) und hatten an dem Tag für meinen Geschmack den besten Auftritt hingelegt. Was mich etwas wunderte war, daß sich wirklich jeder Künstler auf Wunsch und Rufen des Publikums einer deftigen Zugabe stellte. Aber nicht so Goldfrapp. Sie machten sich rar, verschwanden nach ihrem letzten Lied hinter der Bühne und warn nicht mehr gesehen. Schade.
Das andere große Highlight war, zumindest für eingefleischte Techno-Fans, sicherlich Sven Väth. Mich begeisterte das nicht so, und so ging ich irgendwann rüber in das Break’s And Drums-Zelt, wo hinter Nebel und Break-Beat Lärm Leeroy Thornhill hinter seinen Turntables hervorlugte. Das ganze Line up der Mainstage war an diesem Tag zeitlich ein bißchen verschoben und so kam ich logischerweise auch zu spät zu dem Ex-Prodigy Member. Jedoch ging das DJ-Set nahtlos mit dem nachfolgenden ineinander über und Tanith beglückte nun die nächsten 1 ½ Stunden die auf engstem Raum und dicht vor das DJ-Pult gedrängten Tanzenden mit Break Beats. Wäre das Trommelfell an dieser Stelle ein Rückgrat gewesen, es wäre jetzt bestimmt gebrochen. Die Bässe hämmerten erbarmungslos auf alles nieder, was sich im Raum befand, und riß alles und jeden mit auf einen Trip der Sonderklasse. Dieses Zelt gefiel mir neben der Mainstage am besten und ich bereue es, daß ich nicht öfter dort hineingeschaut habe. Aber vielleicht läßt sich das ja nächstes Jahr besser planen.

1001 Bibobs, Nasi Goes Matsch und ein schlafloser Morgen

In dieser Nacht trank ich noch mehrere Bibops und führte mal weniger schlaue, mal sehr ergiebige Konversationen mit anderen Besuchern und Barkeeperinnen. Später würgte ich noch notdürftig ein angebliches Nasi Goreng hinunter. Aber alles, was daran Nasi Goreng war, war der Name. Es schmeckte pampig und zusammengemanscht und war für 4 Euro mehr als unverschämt. Die nette Pseudo-Asiatin am Stand versprach mir, daß bei ihnen alles vegetarisch sei (in diesem Moment fiel mein Blick auf die Shrimps-Chips und in diesem Moment verschwand für mich auch der letzte Funken Glaubwürdigkeit aus ihrem Gesicht...), doch nach dem Geschmack und dem Aussehen zu urteilen, hatten sie statt Reis Küchenschaben und statt Bambus Regenwürmer verwendet. Ich weiß zwar nicht wie diese Tierchen schmecken, aber es ist ein passend abartiger Vergleich. Ich hatte riesigen Hunger, aber ich ließ es irgendwann stehen, denn hätte ich weitergegessen, wäre mir diverser Inhalt aus meinem Magen hinausgebrochen worden. Und das ist meiner Meinung nach nicht der Sinn der Nahrungsaufnahme. Nasi Goreng (und auch alle anderen Pseudo-Gerichte) sind also ideal für Bulimie-Opfer und solche die es werden wollen. Es bleibt einem sogar erspart den Finger in den Hals zu stecken. Das kommt irgendwann von ganz alleine. So schonte ich meinen Gehörgang und kippte noch ein Bibop (nein ich wurde nicht bezahlt diesen Namen immer und immer wieder zu erwähnen, mir fällt nur keine gute Umschreibung ein!). Wie in der Nacht davor war es dann plötzlich 5 Uhr morgens und ich beschloß bis 12 Uhr durchzumachen. Denn dann sollte mein heiß geliebter Techno-Shuttle die Heimreise antreten. Es war der selbe Busfahrer und die selben Fahrgäste. Ich glaube sechs Stück haben gefehlt. Wo immer sie auch waren, um 12:40 Uhr brummte der Motor auf und wir rollten von dannen, vorbei an längst gesehenen Plätzen und der Blick schweifte noch einmal zurück auf den Ort, an dem wir alle ein phantastisches Wochenende verbracht hatten, bis einem dann Bäume und Sträucher die Sicht versperrten und man sich übermüdet und erschöpft, aber sicherlich auch irgendwie glücklich zurücklehnte und vor sich hindöste. Ich schlief 3 Stunden der Fahrt und den Rest der Zeit stocherte ich lustlos mit einer Plastikgabel in einem ekligen Pseudo-Salat von McDonalds herum. Diesmal erwies sich der Busfahrer als ein nicht so guter DJ und spielte die ganze Zeit das selbe Lied. Abwechslung gab es kaum, aber immerhin war es nicht so ein gräßlicher Techno.
Wieder in Berlin angekommen schleppte ich mich dumm und dämlich an meinem Gepäck und sank zuhause halb in Trance auf meiner Matratze zusammen, auf der ich mich dann bis in den nächsten Nachmittag keinen einzigen Zentimeter mehr rührte. So müde und geschafft wie an diesem Tag war ich lange nicht mehr, aber ich kann mit Fug und Recht behaupten: Es hat sich gelohnt!

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Fabian Fascher

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