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Shel Kapuso - Achtzehn Versuche
(2005 Privat D)
www.kapuso.de
Allein zu "vielt"
Selten ist die Außengestaltung bei einem Album wichtiger anzusehen als die Musik darauf, denn das wäre ja ehrlich gesagt auch höchst fragwürdig. Und auch ist das bei Shel Kapuso nicht der Fall, doch man muß es ja mal sagen: Noch nie zuvor sah ich ein Album, welches in völliger Eigenregie und ohne ein Label auf den inoffiziellen "Markt" kam, mit solch einer genial gestalteten und vor allem robusten, unverwüstbaren Hartpappummantelung und einer CD, die von unten schwarz ist! Nun gut, das sei auch nur beiläufig am Rande bemerkt, denn was nützt alles gute Artwork, wenn der Inhalt nur zweitrangig gut ist. Doch keine Angst! Was sich dort für ein paar Augenblicke aus dem Berliner Untergrundgetümmel streckt, um für kurze Zeit das gleißende Licht zu erblicken und sich gleich darauf wieder komplett der Muße zu verschreiben, verspricht gut zu werden, gehörig gut.
Shel Kapuso war, um vielleicht kurz ein bißchen auf den Hintergrund einzugehen, bis vor kurzem noch ein Solo-Projekt von Tilo Alpermann. Der ehemalige Eberswalder wohnt mittlerweile in Potsdam und läßt nun nach jahrelangem Alleingetüftel seit kurzem mit einer Band die Ideen einen neuen Lauf nehmen. Angespornt wird er wohl von Sigur Ros, Radiohead und Konsorten. Doch jene als Vergleichsmöglichkeit zu den "Achtzehn Versuchen" zu benutzen, entpuppt sich nach längerem Zuhören als etwas gewagt. Allein schon wegen der eigen erfundenen Phantasiesprache "Huki Huki" (welche meiner Meinung nach einen etwas spanischen Charakter besitzt, doch wollen wir die Phantasie mal nicht mutwillig zerstören), die zwischen dem unkontrollierten Gemisch aus Englisch und Deutsch auch immer wieder auftaucht und dem aufmerksamen Zuhörer tausende Fragezeichen ins Gesicht schreit, unterscheidet sich diese Musik gewaltig von der "Normalsprachigen". Doch die Richtung stimmt. Sie spielt sich zwischen verträumtem Trip Hop, sehnsüchtigen Endlosbeats und vielleicht seltenerweise schon Slut-artigem Brit Pop-Ideen ab. Auch vereinzelte Drum 'n' Bass-Linien und Bossa Nova-Einflüsse werden nicht verschmäht. Und wenn ich ehrlich bin, das Klavierintro auf "Mittendrin" ähnelt denen von Radiohead und Coldplay doch schon in einigen Zügen... Oft hatte ich auch den Eindruck, ein kleiner Hauch von den Department Of Eagles wehe zeitweise durch diese Platte, doch da sich diese ja genau genommen wieder stark nach Radiohead anhören, schließt sich hier endgültig der Kreis der unsinnigen Vergleiche…
Kapuso stellt auf dieser Platte sehr unter Beweis, daß nicht nur der PC sein allerbester Freund ist, sondern ebenso "richtige" Instrumente wie Akustik- und E-Gitarre und (Blues)Piano in seinen Händen zu wunderbaren Klangspendern gedeihen. Auch wenn sich das Ganze ein Solo-Projekt nennt, gibt es auch hier wieder einen Haufen Musiker im Hintergrund, die vielen Titeln die letztendliche Würze verpassen. Und so ist neben einer Frauenstimme, einer Violine, einer Oboe, einer Gastgitarre und Textarbeiten aus der eigenen Familie auch mal kurz ein Sinfonieorchester im Song "Heimat" mit erlösenden Streicherorgien zu bestaunen. Das zeugt definitiv von guter Connection.
Der Sinn der Texte geht bei all dem melodiösen Tohuwabohu auch nicht verloren und gerade die deutschsprachigen sind nicht etwa solche, für die man sich als gleichsprachiger Bürger schämen müßte (ich nenne da jetzt keine Gegenbeispiele, denn das wäre ketzerisch). Kapusos Stimme ist in jedem Stück romantisch zurückhaltend und unscheinbar, fast so, als würde man sie sich unbewußt zu den Songs hinzu denken. Viel Hall und eine Menge dahinter sozusagen.
Überlegende Horizontstücke wie "Haut" und "Asra" reihen sich wie eine bunte musikalische Neongirlande an lebensbejahende Vorantreiber wie "Warum Ham Wir Niemals" oder gar Bossa Nova-Country-artiges namens "The Sun Ate The Sky" und wickeln sich einmal um den ganzen am Ende völlig eingelullten Verstand und diesen dann total um den Finger. Auf dem achtzehnten Versuch, der nebenbei bemerkt, ein versteckter ist, ist dann Kapuso mit seiner "echten" Stimme zu hören, unverändert natürlich und ohne jeglichen Hall. Auch das hat seinen Reiz. Einen gewissen Deutsch-Rock-Reiz.
Wir dürfen alle sehr gespannt darauf sein, was die neuen Freunde um Kapuso nun aus diesem berauschenden Ideenmekka machen und wie sich die Lieder in der Live-Variation anhören werden.
Man muß es fast schon so banal sagen: Danke an Menschen wie Kapuso, daß sich der alt bewährte deutschsprachige Pop langsam nicht mehr zu schämen braucht. Das haben auch schon die "Popagenten" des Berliner Radiosender FRITZ und deren Hörer bemerkt, die Shel Kapuso in einer Sendung zum Gewinner der Demoecke kürten.
Dieses Stück Musik ist genau das richtige Stück für die dritte Jahreszeit im Jahr. Wer gerne schwelgt, grübelt und träumt, wird es im Idealfall wohl in nächster Zeit des Öfteren ganze 58 Minuten am Stück tun, bevor er wieder in die immer kälter werdende Wirklichkeit der toten Melodien ausgespuckt wird. Und falls Verständigungsprobleme aufkommen sollten, hat Google ganz bestimmt auch zum Thema "Huki Huki" etwas parat...
Tracklist
1. Haut *
2. Matti Uwaga
3. Mittendrin *
4. Reuf Snu Ella
5. Cowboy
6. The Sun Ate The Sky *
7. Asra
8. Warum Ham Wir Niemals *
9. Die Leuchtenden Farben
10. Ploink
11. Neighbour *
12. Gustavsruh
13. Heimat
14. The Tune I'm Waiting For
15. Running *
16. Coda
17. Toni *
* Anspieltips
Bewertung:
Fabian Fascher
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