Ester Drang - Infinite Keys

(2003 Jade Tree USA)
www.esterdrang.com
www.jadetree.com

Zu nett für diese Welt.

Mit Bands verhält es sich ja ähnlich wie mit den Menschen: Die, die am lautesten rufen und versuchen, um jeden Preis die Aufmerksamkeit auf sich zu richten, haben meist nicht viel mehr zu bieten als genau das. Die schweigsamen jedoch, die sich still im Hintergrund halten und fast schon dort verschwinden, umgibt meist ein geheimnisvoller, mystischer Schleier, den es zu lüften gilt. Angenommen, Ester Drang wären also auf einem Schulhof voller Bands, wären sie sicherlich die, die stets zurückgezogen in einer Ecke stehen und nicht viel sagen. In Wirklichkeit haben sie aber eine ganze Menge zu sagen! Und das leben sie in Form ihres zweiten Albums erneut aus, welches mittlerweile bei Jade Tree erschienen ist. Ein Album, welches fast schwerelos ist, möchte man meinen, aber dafür ist es dann doch wieder zu schwerfällig. Wehmut macht sich breit mit jedem Herzschlag und man wünscht sich nichts sehnlicher, als genau in diesem Moment an diesem unendlich weiten, fast schon unnatürlich bildschönen Strand zu stehen, der das Cover ziert. Ein flächiger Sound, der sich auf der einen Seite mit langen instrumentalen Parts hinzieht wie ein zäher Kaugummi, andererseits den Hörer aber auf leichte Art und Weise beflügelt und über die weiten Wogen der Unendlichkeit trägt. Einen Großteil der horizontartigen Atmosphäre gestaltet wohl der Gesang von Bryce Chambers, dem Sänger und Gitarristen der Band. Er ist unfassbar wie ein sanfter Lufthauch und wird in keinem Song zu etwas Festem oder gar Aggressivem. Fast schon ein bißchen gleichgültig in seiner nörgelnden, schwelgenden Art läßt er alles ein paar Millimeter neben der Spur laufen, wie eine Filmrolle in den 30er Jahren. All dies passiert jedoch in einem romantischen Rahmen, ohne daß dabei die herrliche Bilderbuchharmonie zerstört wird - und außerdem: In einem See zählt man schließlich auch nicht die Tropfen... Vielleicht könnte man sogar leichte Parallelen zur Stimme von Denver Dalley ziehen, dem Kopf der Band Statistics (ebenfalls bei Jade Tree). Die Lieder sind gespickt mit theatralischen, filmreifen Violin- und Pianoklängen, Glockenspielen und Saxophoneinlagen, die einen zusätzlich dazu verführen, an alte Zeiten zurückzudenken und anzufangen zu heulen wie ein Schloßhund. Im abschließenden Song "I Don‘t Want To Live (In A World Of Infinite Keys)" wird zusammen mit der eigentlichen Melodie mit einem erfinderischen Klaviersample gearbeitet, welches immer wieder auftaucht und dunkel an eines der berühmten Interludes auf alten HipHop-Alben erinnert.
Jeder Song wirft Hunderte ungestellte Fragen auf wie bei einem guten Roman, aber anstatt sie sich wirklich zu stellen, fängt man dann einfach noch einmal von vorne an, was bei knapp 40 Minuten Laufzeit auch nicht sehr müßig ist. Eine Frage bleibt jedoch wohl bei jedem angesichts einer solchen Band: Wie kann etwas so Schönes so unbekannt sein? Aber vielleicht ist es auch ganz gut so, wenn nicht auch noch diese Band erbarmungslos zerrissen wird von den gierigen Bestien des globalen Popwahnsinns.

Eine Band mit sehr viel Potential und Ideenreichtum, die sich zu behaupten weiß. Es wird nicht ihr letztes Album gewesen sein, auch wenn das vielleicht gar niemanden kümmert...

Filmschluß-Sequenz-Musik für schwelgende Romantiker, Denker und Verliebte, die die Zeit um sich herum vergessen wollen.

Tracklist
1. The Temple Mount *
2. Dead Man's Point Of View
3. Oceans Of You *
4. One Hundred Times
5. The Greatest Think
6. No One Could Ever Take Your Face *
7. If They Only Knew *
8. All The Feeling *
9. I Don‘t Want To Live (In A World Of Infinite Keys)

* Anspieltips

Bewertung:

Fabian Fascher

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