Marilyn Manson- The Golden Age Of Grotesque

(2003 Nothing/Interscope Records US)
www.marilynmanson.com
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Manson hat uns verlassen! Er ist kaltblütig und ohne jeden Skrupel hinübergewandert zu all denen, die wir verabscheuen und zutiefst verachten. Er hat sich verraten und verkauft. An all jene, die sich tagtäglich auf McDonald-Chart Shows vergnügen. An all jene, die glauben, Gothic und Satanismus seien das Selbe. An all jene, die in der letzten Ausgabe vom Sugar Magazin flüchtig gelesen haben, daß es jetzt ziemlich hip sei, sich schwarz zu schminken und sich möglichst viele (sinnfreie) Buttons an seinen Eastpack Rucksack zu heften, gar mit Aufdrucken wie 'Zicke' oder 'I love satan'. Und schließlich auch an all jene, die sich vor geraumer Zeit noch genüßlich das Maul über "Die dumme Schwuchtel" Manson zerrissen und lieber Limp Bizkit und den Massiven Tönen Tribut gezollt haben.
Nun, wenn ich mir das aktuelle (neue kann man ja mittlerweile nicht mehr sagen) Album von Herrn Warner so anhöre, ist es mir jedoch ein Leichtes (und zu gleich eine Wohltat) diesen Ohrenbluten verursachenden Schrott den ganzen hirnlosen Hampelmännern zu überlassen. (Sollen sie doch damit glücklich werden!) Ich meine, was bleibt mir denn auch anderes übrig?! Ich muß die bittere Pille mit der Aufschrift "GAOG" leider Herzens schlucken und begreifen, daß mit "Holywood" ein Künstler von uns gegangen ist, den ich immer sehr bewundert habe. Und das seit ich 12 Jahre alt bin. Mensch, waren das noch Zeiten, wo die bittere Pille nicht so scheußlich schmeckte und sich mit dem Namen "Coma White" ihren Weg zu unserem Herzen bahnte. Wo sind die glorreichen Lieder wie "The Beautiful People", "The Reflecting God", "The Last Day On Earth" oder "Lamb Of God" abgeblieben (um nur einige zu nennen)? Wo bitte fristet der provozierend am Kreuz hängende Antichrist Superstar bitteschön jetzt sein Dasein? Wohin hat sich dieser dürre, androgyne Omega verzogen, den ich so vergöttert habe? Warum sehe ich den tuntigen, drogengeprägten und in Kinderstrumpfhosen gekleideten "Cake And Sodomy-Freak" nicht mehr in seinem Einkaufswagen sitzen? Kann mir das mal jemand sagen??? Nein, natürlich nicht! Denn ich kann mir vorstellen, daß sich viele eingefleischte Manson-Fans ebenfalls hinterrücks überfallen gefühlt haben müssen. Und das nur zu Recht! Jetzt werden mir einige naive Blindfische sicherlich sagen wollen, daß ein Künstler sich ja von Album zu Album weiter-entwickelt und "Antichrist Superstar", "Mechanical Animals" und "Holywood" nur eine Triologie waren und Manson ja nun etwas Neues ausprobieren wollte. Ja, das weiß ich auch. Aber ist das ein Grund, solch eine musikalische Missetat auf den Markt zu werfen und Leute, die an Manson geglaubt haben, damit zum Weinen zu bringen, nur weil ihm nichts mehr einfiel?! Nein! Um das Kind beim Namen zu nennen: Manson hat sich nicht weiterentwickelt. Manson hat kläglich versagt und steht nun dort, wo er sich sicherlich selbst nie gerne gesehen hätte: Im Schatten der peinlichen Popsternchen und Diddl-Bleistifte-Kauer!

Aber nun zum eigentlichen Album: Als ich vor etwa einem Jahr in den Laden ging, um mir euphorisch bis-zum-geht-nicht-mehr das neue Manson-Album zu kaufen, enttäuschte mich als allererstes schon das Cover. Eine nur schemenhaft zu erkennende, weiß geschminkte Clownfratze starrt den Betrachter mit einem Haifischgrinsen an und man fragt sich nur: Wer hat sich dieses beschissene Cover ausgedacht?!! Das Booklet ist ein noch viel größerer Schock. Der Hintergrund ist auf jeder Seite schwarz (Uh, wie evil!) und überall sieht man penetrant viele, mal kleinere, mal größere Bilder von Manson. Also, nur von Manson. Ziemlich dämlich geschminkt und hergerichtet und wohl im Versuch ein bißchen arisch zu wirken, verliert er für mich von Photo zu Photo immer mehr an Sypathie. Dazwischen gewürfelt sind die Texte abgedruckt. Ein weiterer Minuspunkt für ihn. Denn erst jetzt kann ich (auch noch) lesen, was für einen Mist er da niederschreibt. Die meisten Texte sind ungewohnt schlecht und bei Phrasen wie "Haters call me bitch call me faggot call me whitey, but I am something that you'll never be" wird einem dann klar, daß Mr. Manson höchstwahrscheinlich zuviel Zeit mit Mr. Mathers verbracht hat. Natürlich gibt es, zumindest was die Lyrics betrifft, auch ein paar vereinzelte Lichtblicke. Mir gefiel der Satz "We fight war with drugs and our sex is always formal" ganz gut. Doch wirklich herausstechen aus diesem ganzen Wust von sinnlosen Phrasen und geklopften Sprüchen konnte er auch nicht so recht. Auf der letzten (Doppel)Seite erwarten einen dann die restlichen Bandmitglieder. Für eine Millisekunde dachte ich erst, da stehen Rammstein! Alle Mitglieder (John 5, M.W. Gacy, Ginger Fish und Tim Skold) sind komplett hellblond gefärbt und haben uniformähnliche Kostüme an, in denen sie ebenfalls sehr arisch wirken... Gacy, der einst mein Lieblingsmitglied der Band war, hat einen pervers häßlichen Iro und schaut den Betrachter mit einem Blick an, wie wir ihn sonst nur von Till Lindemann (Sänger von Rammstein) kennen. Von "Tainted Love", der Ankündigung auf ein schlechtes Album, gab es ja bekanntlich auch einen Remix von Rammstein. Nur hat man es da wohl nicht nur bei dem Feature belassen. Modisch scheinen sich die beiden Bands auch fleißig ausgetauscht zu haben. Tja, das passiert wohl, wenn eine Berliner "Neue Deutsche Härte"-Band Fuß in den Staaten faßt...
Als ich mir die Lieder anhöre, bekomme ich einen geistigen Schlag in den Nacken und kann es kaum noch fassen. Ich skippe das Album einmal durch. Ich skippe das Album zweimal durch. Ich skippe das Album dreimal durch. Nein, ich kann es nicht fassen. Ich versuche, die Lieder nochmal genauer und aufmerksamer anzuhören. Doch es verändert sich nichts! Ich beschließe das Album zu kaufen. Weil es aber so scheiße ist, beschließe ich zusätzlich als kleinen Trost noch "Mechanical Animals" mitzunehmen. (Dreimal dürft ihr raten, welches Album sich bis zum heutigen Tage öfters in meinem CD-Player gedreht hat...) Warum ich schließlich trotz der großen Enttäuschung das neue Werk mitgenommen habe, weiß ich bis heute nicht. Ich denke, es gibt im Leben immer wieder solche Momente, an denen man sich am liebsten in seinen Arsch beißen möchte. Z.B. wenn man ein hübsches Mädchen sieht, sich aber nicht traut sie anzusprechen. Oder wenn man in der Sendung "Zonk" Tor 3 gewählt hat und darin eine Playstation 2 liegt, man aber Sekunden später feststellen muß, daß in Tor 2 ein Gutschein für ein Eigentumshaus am Stadtrand von London versteckt gewesen wäre. Und eben dann, wenn man sich ein Album kauft, dessen VÖ-Termin man am liebsten verhindert hätte...

Seit "Tainted Love" hat Twiggy Ramirez die Band verlassen und spielt fortan unter seinem richtigen Namen, Jerodie White, bei A Perfect Circle. Twiggy war bekanntlich nicht nur der Bassist, sondern auch der Songschreiber und der beste Freund an Manson's Seite. Daß Twiggy bei so einem gräßlichen Lied wie Tainted Love und der ganzen Herangehensweise an das neue Album genug hatte und das Weite suchte, ist für mich nur all zu verständlich. (Wer mehr über die Gründe seines Ausstiegs wissen will, besorgt sich die November 2003-Ausgabe vom Orkus. Da steht ein ganz nettes Interview mit ihm drin, in dem er einiges erzählt.) Tim Skold, der eher billige Ersatz für ihn, kann seinen Platz niemals einnehmen und seit Twiggy weg ist, ist die Band Marilyn Manson definitiv nicht mehr das, wofür wir sie einst liebten. Seitdem ist die Musik und das ganze Drumherum ohne jeglichen Anreiz, ohne jegliche Originalität und ohne jegliche Qualität für mich geworden. So in etwa wie das Lieblingsessen, dem man jeglichen Geschmack entzogen hat und welches man nur noch aus Gewohnheit verschlingt. (Vor einigen Monaten hat auch John 5, der ehemalige Gitarrist, die Band verlassen, und wundern tut mich daran eigentlich nur, warum er es erst jetzt getan hat...)

Ich habe oft darüber nachgedacht, warum Manson dieses Album überhaupt herausgebracht hat, aber letztendlich war das sinnloses Herumgrübeln, denn die Antwort lag ja klar auf der Hand. Oder sollte ich besser sagen in den Charts! Es ist für mich offensichtlich, daß Manson dieses Album nicht ganz freiwillig, sondern eher aus kommerziellen Interesse oder aus Vertragsgründen verbrochen hat. Auch kann ich mir gut vorstellen, daß Manson hinter diesem Album nicht 100 Prozent stehen kann, sondern daß eher die fettbäuchigen Plattenbosse von Nothing/Interscope-Records, die sich hinter ihren robusten Eichenschreibtischen und dem Rauch ihrer Havanna-Zigarren verstecken, ihre Drähte hierfür spannten. Warum ich das denke? (Nun, wenn ihr es keinem weitersagt, werde ich es euch erzählen.) Ich habe eines Tages mal die Lieder zu Ohren bekommen, die für dieses Album nicht verwendet wurden. Die waren zwar auch nicht ganz mein Ding, jedoch hörten sie sich um einiges besser an als das offizielle Ergebnis. Warum wurden diese Stücke wohl nie veröffentlich? Weil sie wahrscheinlich nicht massentauglich genug waren. Anders kann ich mir das nicht erklären. Einziger guter Nebeneffekt wäre, wenn durch so ein Album viele Leute dazu angeregt werden sich die alten Sachen von Manson zu kaufen. Und das sind wahrlich Meisterwerke!

"The Golden Age Of Grotesque" ist kein (Ohren)Schmaus sondern eher eine Schmach und man möchte die Zeit so gerne zurückschrauben, um das Schlimmste nochmal zu verhindern. Da dies aber leider unmöglich ist, bleibt uns nur eines: Wir müssen fortan in einer Lüge leben! Wir müssen "The Golden Age Of Grotesque" auf immer aus unserem Stammhirn vertreiben und uns naiv und blauäugig einreden, "Holywood" wäre Manson's vorerst letztes Werk gewesen. Ich weiß, es ist schwer und es schmerzt, aber es ist die einzige Möglichkeit, keinen Kotzkrampf bekommen zu müssen wenn der Name Marilyn Manson fällt.

Bewertung:

Fabian Fascher

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