Soho Dolls & Mann Über Bord
oder
Fluc(ht aus der) Mensa

Als wir in die schicke Fluc Mensa hereinspazierten, stürmte uns gleich nach einem Augustinverkäufer ein furchtbares elektronisches Gestöbere entgegen (man fragt sich, was schlimmer ist). Die Sitzplätze waren bedauerlicherweise eigentlich nicht vorhanden und das was man zu solchen umfunktionieren konnte war besetzt...
Es sollte noch recht lange dauern, bis der erste Live-Act dieses Abends auf die kleinen, wackeligen Bretter des Clubs trat. Es wurde Le Tigre, Cobra Killer und anderer Electro-Trash rauf- und runtergespielt und nach etwa einer Stunde tat sich etwas auf der "Bühne". Instrumente wurden aufgebaut, Soundchecks schnitten sich in die Blechdosenmusik hinein und man strömte langsam gen Schauplatz. Eine vom Outfit etwas fragwürdige Dreierformation aus einem mutmaßlichen Drogendealer (Gitarrist), einem wandernden Handwerker in originaler Verpackung (Synthesizer) und einem kleinen, wuscheligen Milchbubi mit Fresse zum am liebsten hineinschlagen (Drummer) verteilten sich auf der Bühne und verkündeten in feinstem österreichischem Dialekt, sie seien die ("berüchtigten") Mann Über Bord. Nun, der Name machte mir eher Angst um meinen Abend als Lust auf mehr, doch ich bin ja tolerant und offen für vieles - wie sich dann wenige Sekunden später herausstellen sollte, nicht für diese Band. Gewollt auf Noise und so laut wie möglich hämmerten sie drauf los ohne Rücksicht auf die Ohren des Publikums. Das Schlagzeug war völlig übertrieben hochgepitcht (vermutlich um vom schlechten Gitarrenspiel abzulenken) und die Becken wurden maßlos überbewertet in allen Stücken eingesetzt. Nun gut, ich schaute mir das eine Weile an, bis ich entgültig sagen konnte, daß solch eine Musik für mich völlig überflüssig ist. Vor dem Synthie-Typen protzte ein Mikrophon stolz in die Höhe und vermittelte den Eindruck, als würde dieser jeden Moment dort hineinsingen und somit wenigstens noch eine Teil der Stücke retten - doch nichts dergleichen geschah. Das Mikro diente lediglich dazu, die Namen der Stücke zu verkündigen und im für mich fast unverständlichstem "Zug fährt ab" und "Zwoa Topfengolatschen bitteschön" sich für den Applaus (äh, Applaus?!!!) zu bedanken. Schade. Mit etwas Gesang versetzt hätte diese Mischung aus Noise und Pseudo-Geschrammel bestimmt noch annäherungsweise nach etwas Handfestem und Ganzen geklungen, doch die Stücke waren einfach nicht dazu gemacht, um sie (in dieser Form) zu spielen. Nach dem Konzert stand für mich nur eine einzige Aussage im Raum: Mann Über Bord!!! ...na und?!

Nach einer kurzen Pause bauten sich ein paar neue Gesichter auf der bühnenartigen Plattform auf und man marschierte gespannt dorthin. Vier Köpfe mit fünf Augenpaaren (...) lächelten uns aufmunternd entgegen und besonders das letzte machte auf eine seltsame Art und Weise und mit schlagfertigen Argumenten Lust (auf gute Musik)... Eine Sängerin, die aussah, als würde sie für die gesamten Unterricht ihrer 8. Klasse ausfallen, eine Bassistin, die mich ein bißchen an eine Tussi von Sleater-Kinney erinnerte und die dort stand in all ihrer Herrlichkeit und ihrer zwei Weiblichkeiten, eine Keyboarderin, bei der ich mich die ganze Show über fragte, ob ich das "in" in meinem Bericht wieder streichen sollte oder nicht, und ein Gitarrist, der ein wenig an eine Mischung aus Ville, Brian und französischer Studententranse erinnerte, waren die Soho Dolls und nun sollte es auch gleich losgehen. Man begann das Konzert mit einer absoluten Todsünde eines jeden Künstlers: Man spielte ein sehr langsames, langweiliges und "unwichtiges" Stück und ich wartete gespannt ab, ob denn alles so ruhig klänge (denn dann, und wirklich nur dann ist ein ruhiges, langweiliges und "unwichtiges" Stück am Anfang eines Gigs gestattet!), doch schon das übernächste Lied entlockte dem Drumcomputer die schnittigsten Rhythmen und dem Publikum die Lust zu tanzen. Besonders zwei "Augustiner" konnte auch nicht mein provokantes Drängeln davon abhalten, die ganze Zeit vor meiner Nase auf und ab zu tanzen und mir ihre fettiges, ungepflegtes Dasein aufzudrängen (ja, ich habe misanthropische Denkansätze, ja). Die beiden unglücklichen Startversuche waren vergessen und selbst ich nickte zum Beat mit und nahm sogar die Hände aus den Hosentaschen (dazu muß der Leser wissen, daß ich was Tanzen angeht ziemlich gut mit Justus Jonas gleichzusetzen bin). Die Sängerin, die ich mittlerweile auf etwa höchstens 17 schätzte, machte sich ganz gut und sang trotz gleich zu Beginn laut verkündeten starken Halsschmerzen recht passabel und der Sound war live und somit recht frisch und echt. Die Soho Dolls sind übrigens die erste Elektro-Trash-Gruppe, die ich kenne, die live spielt. Das kam auch beim Publikum sehr gut an und als hätte die Sängerin schon öfter Auftritte von Cobra Killer verfolgt, räkelte sie sich nach kurzer Zeit schon mit einem Kleidungsstück weniger gefühlvoll auf der Bühne umher und machte in feinster Client-Manie die Lesbennummer mit der üppigen Bassistin. Das wirkte alles ein bißchen abgeguckt und schon gesehen, doch entwertete das den Auftritt des Quartetts nicht im geringsten. Eine schöne, lange Stunde rockten die Soho Dolls den gesamten Laden, und nachdem man fertig gerockt hatte, gab man artig eine Zugabe und verschwand dann entgültig von der rumverschmierten Bühne.
Dieser Abend war nur teilweise gut: Der erste Teil hätte der zweite Teil sein sollen und der zweite Teil war sehr nett. Die Soho Dolls klingen zwar nicht einzigartig, doch verfolgen sie eine gute, musikalische Idee und liefern eine akzeptable Bühnenshow ab. Wenn sie mal wieder hierzulande unterwegs sind, kann ich sie als Abendprogramm wärmstens empfehlen, aber wegen ihnen nach England reisen, sollte man jetzt nicht sofort. Bei Mann über Bord möchte ich mich jeglichen Kommentars entziehen. Vielleicht wird ihre Plattenfirma eines Tages noch ein großartiges Licht hervorbringen. Denn auch ein blindes Huhn findet bekanntlich mal ein Korn...

Ich habe ihn diesem Bericht (und auch sonst schon) öfter den Begriff "Elektro-Trash" benutzt. Ich weiß, daß es diese Musikrichtung wahrscheinlich nirgendwo offiziell geben wird, denn es ist eigentlich nur eine meiner Eigenbezeichnungen. Ich erkläre jegliche Musik um Cobra Killer, Client, Le Tigre und Chicks On Speed als Elektro-Trash (Gruppen wie Liars und Von Spar gehören für mich eher in die Kategorie 'ElektroPunk'), denn sie sind meist nicht all zu ernst zu nehmen, und treten in verrückten Formationen und Verkleidungen auf. Jede Band hat ihre Eigenart und Einzigartigkeit und doch klingen alle ein wenig ähnlich und wahrscheinlich hat diese Musikrichtung auch einen offiziell akzeptierten Namen, aber wenn ihr ihn wisst, dann schreibt mir bitte eine Email und nennt ihn mir!

Fabian Fascher

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