Todesmutiges vom Boxenturm

Wer jedes Jahr Anfang August noch Energie für ein weiteres Festival hat, wird in Bildein fündig, wo das Picture On seine Pforten für viele begeisterte Besucher öffnet. Immer wieder gerne wird in gemütlicher Runde dieser Geheimtipp der österreichischen Festivalszene verbreitet. Dabei hat das Ereignis Werbung gar nicht nötig, ist es doch Jahr ein, Jahr aus restlos ausverkauft. Kein Wunder, dass der musikbegeisterte Fan alljährlich wieder vom Picture On Fieber gefesselt wird und ins - an diesem Wochenende gar nicht mehr so beschauliche - Bildein pilgert, um die großartige Stimmung und die exzellente Bandauswahl zu genießen.

Als grenzübergreifendes und gefördertes Projekt begonnen, wird an dieser Tradition auch weiterhin festgehalten und so kann stets unter anderem mit eine Menge an ungarischen Bands und Gästen auf dem grenznahen Festival gefeiert werden. Musik kennt keine Grenzen auf dem Kirchplatz von Bildein. Unter einem riesigen Baum ist die Bühne platziert, auf der heuer Bands wie Clawfinger oder Uriah Heep aus der nie vergessenen Vergangenheit aufsteigen und das Publikum begeistern.

Betritt man das Gelände, so wird gleich klar, hier ist alles liebevoll selbst gemacht, keine Spur von Massenabfertigung, sondern individueller Festivalgeist ist am Werk. Da wird der gepflasterte Dorfplatz einfach mit einer Folie belegt, auf die dann Holzschnipsel gestreut werden, schon ist das Bühnengelände fertig. Der vorhandene Kinderspielplatz wird zum einfach mit integriert, die Weinbar und das Gemeindezentrum sind jetzt für das leibliche Wohl der Besucher zuständig, statt unappetitlichen Dixieklos können die öffentlichen Toiletten von den Fans benutzt werden. Alles ist so, als ob es normal wäre, ein Festival mitten in einem kleinen Ort auf die Beine zu stellen. Sogar der am Platz befindliche Supermarkt hat in den Morgenstunden noch geöffnet, so dass einem Frühstückseinkauf nicht im Wege steht.

Natürlich funktioniert die Idee des Festivals auf dem Dorfplatz nur, solange keine böswilligen Störenfriede ihrem Vandalismusdrang freien Lauf lassen. Zum Glück ist das Publikum aber erstaunlich feierfreudig und zugleich friedlich im Umgang mit dem Gelände. Da wird zwar aufs wildeste getanzt und gepogt, aber von Randale keine Spur, der Traum jedes Veranstalters.

Die Kräfte herausgelassen werden beim Picture On lediglich auf und vor der Bühne. Besonderen Anteil daran haben in diesem Jahr die nordischen Clawfinger. Die Urgesteine des Crossovers haben als eine der wenigen Bands der ersten Stunde die stürmischen Zeiten des Musikgeschäfts locker überstanden und sind mehr bühnenpräsent denn je. Nicht nur, dass eine wilde Auswahl an Stücken bis hin zu den alten Schätzen präsentiert wird, auch die Performance ist kraftvoll wie immer. Highlight ist sicherlich der waghalsige Sprung eines verrückten Bandmitglieds vom mindestens drei Meter hohen seitlichen Boxenturm über den Bühnengraben auf die vehement zusammengerufene Fanschar. Nach der ersten Flucht blieben dennoch genügend Menschen übrig, um einen sicheren Fang zu garantieren, während der Rest in Erwartung eines Selbstmordes den Atem anhielt.

Uriah Heep wollen sich da mit ihren altbekannten Rockhymnen nicht verstecken, werden aber etwas von dem aufgekommenen Unwetter ausgebremst. So harrt zunächst nur eine wirklich hartgesottene Fangemeinde bei strömendem Regen aus, während sich der Rest in die den Platz umliegenden Gebäude und Unterstände verflüchtigt. Als der Regen aber seine erste Heftigkeit etwas verliert, kehren fast alle wieder zurück und genießen feinste Musik im irgendwie auch dazu passenden nassen Ambiente.

Tradition beim Picture On haben auch die Auftritte einer handfesten Ska Band. Nachdem wir beim letzten Mal die verrückten Locos bewundert haben, sollte das diesjährige Highlight der schrägen Töne mit Jesus Christ Smokes Holy Gasoline begründet werden. Hier sind einfach gute Laune und wirbelnde Tanzbeine vorprogrammiert. Besonders der temporeiche Sound verbunden mit einem wüst über die Bühne springenden Frontmann weiß auch nicht eingeschworene Fans mitzureißen.

Ruhiger geht es da hingegen bei Martin Jondo zu, anschließend wird das Publikum durch einen wilden Auftritt der Staggers aufgeweckt. Welch einen Gegensatz dazu bilden die abschließenden Headliner Sugarplum Fairy und Wir Sind Helden. Schlagartig sind alle pogenden Fans in die hinteren Reihen verschwunden, während vorne das verzückte, vornehmlich weibliche Publikum den frischen Pop feiert. Wie schon viele Male zuvor gaben die Bands ihre einprägsamen Stücke zum Besten und hinterließen wieder einmal reihenweise glückselige Fans.

Ein wirklich gelungenes Festival. Bei all den wunderbaren Erlebnissen der beiden Tagen kann nur noch dazu aufgerufen werden: Werdet im nächsten Jahr wieder zum Pinkarocker!

Stefan Kuper

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