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Von spanischen Priestern und nordirischen Punkern
Bildein ist ein kleines beschauliches Örtchen mitten im Nirgendwo an der österreichisch-ungarischen Grenze. Dort wo sich ansonsten wohl geruhsam Hase und Fuchs oder erholungswillige Touristen Gute Nacht wünschen, schlug für ein Wochenende das musikalische Herz Österreichs höher als sonst irgendwo. Das Picture On Festival nahm Besitz vom Ort. Wie es ein mit 2500 Besuchern doch eher kleines gemütliches Festival geschafft hat, dermaßen große Aufmerksamkeit zu erzeugen und ein derartig gutes Line-Up auf die Beine zu stellen, ist leicht erklärt: Eine einfach schöne Location mitten auf dem Dorfplatz verbunden mit ausgelassen friedlich feiernder Stimmung und eine sehr gute Organisation ließen die beiden Tage zu einem ganz besonderen Stück Festivalerinnerung gedeihen.
Wer jetzt denkt, dass sich hier lediglich die versammelte Dorfjugend besinnungslos betrunken hätte und dann pöbelnd durch die Gegend lief - schmerzhafte Erinnerungen an andere Veranstaltungen werden da wach - hat weit gefehlt. Die Besucherschar rekrutierte sich aus einer bunten Mischung: Neben der halben Dorfbevölkerung von Jung bis Alt sowie der fast vollständigen Jugend aus der Region gab es auch zahlreiche ungarische und aus weiter entfernten Teilen Österreichs Angereiste. So wurde das Ereignis als willkommener Anlass wahrgenommen, alte Bekanntschaften wiederzutreffen und mal wieder in die Heimat zu fahren. Das Ganze ergab dann eine gutgelaunten Cocktail aus plauschenden und tanzwütigen Feiernden, die zwar ausgelassen aber dennoch stets friedlich waren. Selbst nach dem wildesten Gepoge, bei dem sich der harte Kern der Feiernden die Köpfe einzuschlagen schien, war es nach Ende des Konzertes bis auf begeisterte Zugaberufe plötzlich wieder friedlich. Wenn doch nur jedes Festival eine so gute Stimmung besitzen würde!
Beim Betreten des Geländes schlugen uns bereits die Grooves der Linzer Hip-Hop Formation Texta entgegen. Die beim Picture On aufgestellten kräftigen Bassboxen wurden reichlich ausgereizt, um das Publikum vor die Bühne zu locken. Die fünf Oberösterreicher brachten ihre mal im Dialekt, mal mehr oder weniger Hochdeutsch gesungenen Texte in einer extrem tanzbaren Beats verpackt vor. So dass die Fans wahlweise ihre Körper zucken ließen oder nachdenklich den mit geschicktem Schmäh präparierten kritischen Strophen lauschten oder einfach beides gleichzeitig taten.
Den wahrscheinlich größten Glanz auf diesjährigen Picture On Bühne verbreitete der folgende Auftritt von Marla Glen. Die großartige Bluessängerin präsentierte sich dabei als Star zum Anfassen und keineswegs abgehoben. Gewohnt ein wenig kauzig wirkend bewegte sie sich im maskulinen dunklen Anzug auf der Bühne und zog mit ihrem unendlichen Lächeln und der reibeisernen Stimme alle gleichermaßen sofort in ihren Bann. Die sich seit geraumer Zeit in deutschen Gefilden aufhaltende Amerikanerin wusste nicht nur durch ihre unbeschreiblich tiefgehende Musik sondern auch durch Wortwitz - teilweise sogar mit deutschen Wortfetzen durchsetzt - zu überzeugen und erntete reihenweise offene Münder der in Trance schwelgenden Zuschauer. Natürlich kam auch des Öfteren eine ihrer in Gürteltaschen verstauten Mundharmonikas zum Einsatz. Als sie dann auch noch nach ihrem Konzert eine ungeheure Lebensfreude ausstrahlend durch die dicht gestaffelten Reihen wandelte, um wie zuvor angekündigt ihren Fans nah zu sein, war der Abend bereits perfekt.
Da hatten es Jestofunk schon ganz schön schwer, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Waren jetzt die Bässe wieder voll aufgedreht und zu einer Mischung aus stampfenden Beats und lateinamerikanischem Allerlei wurde ein harter Rap dargeboten. Besonders die Kombination aus rauem weiblichen und melodiöserem männlichen Stimmgesang wusste bei einigen Stücken zu überzeugen, auch wenn man vorne stehend froh sein musste, vom Schalldruck der Boxen nicht umgeworfen zu werden.
Für den temporeichen bombastischen Ausklang der Nacht sorgten anschließend The Locos mit ihrem rasend machenden Ska-Punkrock. Als neues Projekt vom Ska-P Frontmann Ricardo alias Pipi gegründet brachten die auf spanisch gesungenen rasend schnellen Texte und Rhythmen das Publikum trotz fortgeschrittener Stunde an den Rand des Wahnsinns. Die mit Spaß verbundene Musik, deren Texte umso kritischer sind, fuhr gleich in die Glieder, so dass ein Massengepoge vor der Bühne stattfand und die Crowdsurfer im Dutzend gen Bühne schwebten. Als dann Sänger Pipi während einiger Stücke kostümiert als Elvis, Zauberer oder die Menge segnender Priester auftrat, war die Show nur noch als absolut durchgeknallt zu bezeichnen. Wer sich nach solcher Musik anschließend nicht ins Krankenhaus sehnte, hatte nicht richtig mitgefeiert. Und so mancher ist nachher wohl mit schmerzenden Gliedern im nächtlichen Zeltschlafplatz verschwunden.
Wie friedlich ein Festival vor dem Programmbeginn aussehen kann, erlebten wir am zweiten Tag, als wir bereits gegen Mittag eintrafen und uns ein gemütliches Plätzchen auf unter einem Dachvorbau aufgestellten Bänken suchten. Praktischerweise hatte der sich am Platz befindendliche Supermarkt noch geöffnet, so dass es mit flüssiger Stärkung und anderweitiger Nahrung nicht zu geizen galt. Daher verging das Warten bei einem Plausch mit der zur frühen Zeit ebenfalls noch sehr relaxten - swas sich leider im Verlaufe des Abends in übertriebenen Arbeitseifer wandeln sollte - Securitymannschaft und anderen bereits überpünktlich Angekommenen wie im Fluge.
Als Besonderheit bot das Picture On Festival ein Rockseminar an, bei dem mehr oder weniger junge Talente unter professioneller Anleitung eine Woche lang an ihren musikalischen Begabungen feilen konnten und den einen oder anderen Trick eingetrichtert bekamen. Das neu Erworbene wurde sodann gleich am frühen Nachmittag auf der großen Bühne vor allerdings noch nicht allzu zahlreich erschienenem Publikum in unterschiedlichen Besetzungen erprobt.
Monday's Change und The Staggers starteten sodann das sehr punkrockige Programm des Tages. Die harten Gitarrenriffs sausten um die Ohren der noch recht spärlich anwesenden Zuhörerschaft. Auch die ungarische Band Aurora aus dem nahen Györ ließen zwar die Bühne richtig brennen, mussten aber ebenfalls auf ein größeres Publikum verzichten. Zumal die meisten Magyaren an diesem Tag bei einem auch noch kostenlosen Konkurrenzfestival jenseits der Grenze verweilten.
Richtig voll wurde es erst als mit der Band Julia der erste richtig große österreichische Name des Tages auftrat. Ausgerüstet mit einer relativ großen Fangemeinde verstärkt durch die sonstigen jetzt auf das Gelände strömenden Besucher kam augenblicklich richtig Stimmung auf. Kein Wunder, haben sich die vier Wiener doch in den letzten Jahren in die Ohren der Österreicher gespielt und sind auch international bekannt geworden. Die melodiös gehaltenen Refrains verbanden sie mit hartem Metal und hallenden verzerrten Gitarren, die zum Tanzen aufriefen und von einer schwungvollen Bühnenshow bereichert wurden. Dass diesem Ruf gerade bei den Österreichern nicht unversehens verhallte, versteht sich von selbst.
The (International) Noise Conspiracy brachten dann das Fass zum Überlaufen. Der Sound war noch um eine Ecke lauter, schneller, einfach dreckiger als alles Bisherige des Tages. Dazu besaßen sie mit Dennis Lyxzen einen Frontmann, der bereit ist, für die Show alles zu geben. Nicht nur wildes Herumgehüpfe quer über die Bühne auch Crowdsurfen in der Menge zu den verzerrten Klängen seiner Kollegen gehörte zum Programm. Wohl nur selten wird dieser beschauliche Dorfplatz eine dermaßen heißblütige Performance erlebt haben. Es schien so, als ob die Schweden die gesamte Kälte ihrer verschneiten Winter in Hitze transformiert zu haben, um diese jetzt vulkanartig herausbrechen zu lassen.
Allerdings drohte es jetzt doch etwas zu viel aus der Ecke der lärmenden Musik zu werden. Daher war es gut, dass mit New Model Army wieder zur Abwechslung etwas Melodiöseres auf dem Line-Up stand. Altmeister Justin Sullivan erfreute das gierige Publikum denn auch mit all seinen großen Hits, bei denen wild mitgesungen wurde. Auch wenn die Jahre in seinem Gesicht langsam aber sicher ihre Spuren hinterlassen haben, so ist doch immer noch dieser Glanz in seinen Augen zu sehen, wenn er mit glänzendem Mikro vor dem Mund in die Saiten seiner Gitarre greift.
In die Nacht entlassen wurden wir dann mit den harten Riffs von Therapy?. Die inzwischen zu einem Trio geschrumpften Nordiren um Frontmann Andy Cairns ließen heute Abend keinen Zweifel daran aufkommen, wem die Krone der punkigsten Künstler eindeutig gehörte. Das Publikum ließ sich zumindest bereitwillig treiben von Songs quer durch die Alben aus der siebzehnjährigen Bandhistorie. Woher wohl nach diesem anstrengenden Tag die Energie kam, dass vor der Bühne noch wilder getanzt wurde als auf dieser? Zumindest gab es wüste Zugaberufe nach Ende des Konzertes, so dass sich wohl nur langsam aber sicher die bittere Erkenntnis einschlich: Das wunderbar gemütliche und doch gleichzeitig rasende Picture On war zu Ende. Da hilft wohl nur ein sehnsüchtiger Blick aufs nächste Jahr!
Stefan Kuper
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