Jamaika und die deutschen Jungs

Roots and Vibes meets Indie, Hip-Hop trifft auf deutsche Frauenpower. Eine klare musikalische Linie ist beim Programm am Nuke nie zu ziehen, aber gerade das macht den Reiz dieses Festivals aus. Gegensätze ziehen sich halt an und so ist so ziemlich für jeden Besucher etwas dabei. Gefeiert wird dieses Ereignis im niederösterreichischen St. Pölten. Hierhin hat das in der Vergangenheit des Öfteren umgezogene Festival nun einen festen Platz gefunden. Scheint doch das Gelände geradezu ideal für eine derartige Veranstaltung zu sein. Ein Platz direkt neben der Autobahn auf festem witterungsbeständigen Untergrund, dazu eine klimatisierte Halle, das VAZ, gleich nebenan für die zweite Bühne. Nicht zu vergessen die wunderbaren Wiesen um die Traisen herum, die zum gemütlichen Zelten und Ausruhen vom Musikstress einladen. In selbiger auf einem Klappstuhl mit den nackten Füßen zu sitzen und ein frisch gekühltes Bier zu trinken oder von der Brücke in den nebenan liegenden Kanal zu springen ist wohl schon eine Festivaltradition geworden.

So vielfältig wie die dargebotenen musikalischen Stilrichtungen sind, so bunt gemischt präsentiert sich auch das Publikum, welches je nach Band völlig ausgetauscht zu sein scheint. Da sind die mehr oder weniger echte Rastafaris neben der feucht fröhlich feiernden Provinzjugend, die herausgeputzten Großstadtgirlies tanzen neben heruntergekommenen Punks, halb Österreich scheint versammelt zu sein. Dabei gibt es kaum lästiges Geschubse oder den ganzen Tag über auf ihre Lieblingsband in den ersten Reihen Wartende, alles geht eher gemütlich und gesittet zu, auch wenn die Halle das ein ums andere mal vor schreienden Fans zu platzen scheint.

Besonders Calexico wissen am ersten Tag zu gefallen. Wer aus Tucson in Arizona kommt, muss wahrscheinlich solche Musik produzieren: Wie ein schwer gepanzerter Geländewagen auf staubiger Piste ein paar faule Rinder jagend, so ist die Grundstimmung. Dazu kommt ein ganzes Ensemble an eher rockuntypischen Instrumenten à la Glockenspiel, Akkordeon oder Mandoline zum Einsatz, was einen rassigen würzigen mexikanischen Country-Rock ergibt und nicht nur zum Staunen, sondern auch und gerade zum Mittanzen einlädt.

Silbermond haben zu Beginn ihres Auftritts gleich Pech, da ein Stromausfall die gesamte Soundtechnik zum Erliegen bringt. Lustig anzusehen ist dabei die zuerst noch ein paar Sekunden weiter performende Stefanie Kloß, während ihr am Rand hektisch Zeichen gegeben werden, dass sie nicht mehr zu hören ist. Sowie der darauf folgende erschreckte Gesichtsausdruck, als sie die Lage realisiert. Dann wird halt kurzerhand die zwecks Fehlersuche entstehende Pause mittels Megaphon überwunden, bevor es mit der Show weitergeht. Allerdings stände der Band eine etwas weniger übertrieben das Publikum anbiedernde Show besser, der Sound ist dagegen viel frischerer fetziger Punk-Rock.

Die Auftritte von The Prodigy hinterlassen immer einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist es immer ein in Erinnerungen schwelgendes Erlebnis die Pioniere des Electropunks erleben zu können und es werden auch brav so manche alte Hits gespielt. Andererseits wirkt die Show immer etwas aufgesetzt und zu sehr durchgestylt. Auch gibt es wohl kaum eine Band, bei der das Wort Fuck so oft fällt wie bei The Prodigy.

Ganz anders verhält es sich da bei einer der ganz besonders eindrucksvollen Shows der österreichischen Bauchklang, welche heute indoor auftreten. Befindet man sich noch am Eingang zur Halle, hört man bereits die wohlsortierten Klänge aus diversen Beatboxen und anderen Instrumenten. Dann ist das Erstaunen jedes Mal umso größer, wenn die Erkenntnis auftaucht, dass dies alles keineswegs unter Verwendung irgendwelcher Hilfsmittel sondern ausschließlich mit den perfekt ausgebildeten Stimmen der Musiker selbst erzeugt wird. Diese Performance ist sicherlich das Highlight des Abends im VAZ. Da kann auch der jamaikanische Musiker Anthony B. nicht mithalten, welcher anschließend seine Bühnenpräsenz zum Besten gibt.

Die Fantastischen Vier bringen derweil als Tagesheadliner ihren deutschen Rap unters Volk. Mit dem frischen neuen Album Fornika in der Tasche, werden sowohl alt bekannte, als auch viele neue Songs präsentiert. Dabei geht es auf der Bühne mal wild, mal auch eher ruhiger auf Barhockern sitzend zu. Sicherlich ein würdiger Abschluss des ersten fantastischen Tages.

Der zweite Tag des Nukes beginnt ja inzwischen traditionell mit einem entspannenden, jeglichen Kater vertreibenden Bad in der benachbarten Traisen, bevor man sich wieder ins Festivalgetümmel stürzt. Auch ein relativ kurzer Fußmarsch in die diversen Einkaufsmärkte in der Umgebung zwecks Nachschubversorgung gehört dazu wie der erholsame Nachmittagsschlaf im Schatten eines der zahlreichen Bäume, um dann umso energiegeladener aufs Gelände zurückzukehren.

Dort sollten eigentlich gerade The Roots ihre fetten Beats zum Besten geben. Statt dessen muss ein ebenfalls ungeduldiger Verantwortlicher auf die Bühne, um unter zahlreichen unberechtigten Buh-Rufen, er kann ja wohl auch nichts für eine nicht rechtzeitig aufbrechende Band, eine staubedingte Verspätung bekannt zu geben. Nunja, schließlich kamen die Hip Hopper aus Philadelphia ja doch noch an und zeigten ihre auf die Hälfte gekürzte Performance.

Die eher mit groovigeren Bands aufwartende Halle bot derweil mit Lambchop eine musikalische Abwechslung der feineren Art. Die aus Tennessee stammende Gruppe um Kurt Wagner zeichnet sich vor allem durch die Mischung aus Alternativ Sound mit Country Elementen aus, wobei die extrem tiefe lässige Stimme des Frontmanns einen prägenden Eindruck hinterlässt. Einfach etwas zum dahinschmelzend berauscht sein.

Wir Sind Helden haben zunächst ebenfalls mit kleineren technischen Problemen zu kämpfen, da der Sound aus den Kopfhörern von Bassist Mark Tavassol irgendwie nicht von dieser Welt, zumindest nicht von seiner gerade auftretenden Band, zu stammen scheint, muss er diese aus den Ohren nehmen und im wenig hörenden Blindflug die Show absolvieren. Das Publikum besteht natürlich wie gewohnt aus eher jüngerem weiblichen Publikum, welches jedes Wort aus Judith Holofernes Mund mitsingt und begeistert mit den Armen wedelt.

In der Halle bilden den Abschluss des Tages zwei Bands, die eigentlich mal eine gewesen sind. Die jetzt auf Solopfaden wandelnde Joy Denalane tourte für zwei Jahren mit Freundeskreis zusammen. So kommen die Fans in den Genuss, das, was einst das Bezaubernde von Freundeskreis ausmachte, jetzt schon eine Stunde früher erleben zu dürfen. Natürlich ließ es sich die Berlinerin und Ehefrau von Freundeskreis Frontmann Max Herre nicht nehmen, beim anschließenden Auftritt ihrer Kollegen ebenfalls mitzumischen. Diese feiern gerade nach mehrjähriger Bühnenabstinenz zwecks Formung der Solokarrieren ein Comeback zum 10-jährigen Bandjubiläum inklusive Best-Of Album FK 10, aus welchem sehr zur Freude der die Halle bis zum letzten Platz zum Dampfen bringenden Fans Zahlreiches gespielt wurde.

Als persönliches Festivalhighlight und Headliner des Abschlusstages betreten währenddessen die Beastie Boys die Bühne. Die Performance der drei schon etwas in die Jahre gekommenen Jungs hat nichts von ihrer Wildheit verloren. Noch immer wird bei den alten Vorreitersongs des Hip-Hops ausgerastet auf der Bühne herumgesprungen. Doch auch die Beastie Boys haben sich weiterentwickelt und ihr Programm um ruhigere rein instrumentelle Stücke von dem neuen Album erweitert. Diese wurden taktisch klug in der Mitte der Show eingesetzt, um die allzu erhitzt herumpogende Menge etwas wieder herunterkommen zu lassen. Nur um dann in einem fulminanten Abschluss einen bleibenden wilden Eindruck zu hinterlassen.

Das Nuke Festival hat auch in diesem Jahr seiner alten Tradition alle Ehre bereitet und ein abwechslungsreiches Programm mit vielen Höhepunkten geboten. Wer eine ausgelassene Party in gemütlicher Umgebung und mit einem umso heißeren Musikprogramm feiern will, ist hier definitiv am richtigen Ort angekommen.

Stefan Kuper

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