Vibes grooven durch die Luft

Das Nuke Festival ist ja mittlerweile dafür bekannt, dass es öfters einmal den Austragungsort wechselt. Nach den letztjährigen Wetterkapriolen und dem doch sehr absaufenden Festivalgelände scheint heuer aber der ideale Ort, nämlich das Gelände in und neben der Veranstaltungshalle VAZ in St. Pölten, gefunden worden zu sein. So konnten sich die Besucher je nach Musikgeschmack und Wetterlage in der riesigen Halle oder Outdoor vor der Sun Stage vergnügen. Zudem hat das Event Zuwachs in Form eines zusätzlichen Donnerstagabend unter dem Motto The Strokes & Friends bekommen, der allerdings ausschließlich in der Halle stattfand. Während dieser Abend eher unter dem musikalischen Stern des Indiesounds stand, tendierte das Programm der anderen Tage mit Bands wie Manu Chao, Jovanotti, Kosheen und Stereo MC's in die Richtung Elektronik, Reggae, Hip-Hop und deren Variationen.

Unsere Augen staunten nicht schlecht, als wir an den Einlass zum Gelände kamen und auf einem Zettel der Name The Kooks durchgestrichen und auf eine Zeit lang nach Mitternacht nach den Strokes angekündigt war. Die Verwirrung wurde dann komplett, als beim Betreten der Halle die Kooks doch auf der Bühne standen, wenn auch nur zu zweit. Was war geschehen? Anscheinend sind Bassist und Schlagzeuger auf dem Weg nach St. Pölten irgendwo in Italien in einen Stau geraten und haben es nicht mehr rechtzeitig zum Auftritt geschafft. Die verschiedenen durchgeplanten Ausweichmöglichkeiten, wie Tausch des Slots mit Adam Green oder Spielen nach Mitternacht nach den Strokes waren irgendwie auch nicht befriedigend und so entschloss man sich einfach zu zweit ein Akustikprogramm auf die Beine zu stellen. So ging es ganz ohne Bass und Schlagzeug aber dafür extrem melodiös zur Sache und das war gar nicht einmal so schlecht! Die Zuhörer konnten sich von den bereits viel gelobten Live Qualitäten der Band überzeugen und genossen sehr den unpluggedartigen Auftritt, bei dem die fehlenden Elemente durch eine betont ausdrucksstarke Stimme mehr als wettgemacht wurden.

Adam Green betrat danach eher unmotiviert die Bühne. Durch das heiße Wetter draußen und die doch recht zahlreichen tanzenden Fans hatte sich das Veranstaltungsgebäude stark aufgeheizt. Und so strömte bei jedem feierwütigen Besucher der Schweiß aus allen Poren und verwandelte die Halle in eine türkische Dampfsauna - allerdings mit weniger Wohlgeruch, bei der man hinten stehend die aufsteigenden Wolken vom Lichterschein der Bühnenbeleuchtung durchzogen beobachten konnte. Ob es diese hinderlichen Bedingungen oder eher der langen hinter ihm liegenden Tour lag, Adam Greens Auftritt war einer der kürzeren Art von vielleicht gut 50 Minuten. Nichts desto trotz war das Publikum vom Sound überzeugt und jubelte den kauzig unbeholfenen Tanzeinlagen des New Yorkers zu. Wir haben Adam bereits stimmungsmachender erlebt, seinen eigenen Charme wusste er aber dennoch bei den Fans zu platzieren.

Waren The Strokes zuletzt eher gewalttätig aufgetreten, indem sie mittels Mikrofonständer eine ungeliebte Fernsehkamera kurzerhand schrottreif schlugen, ließen sie bei diesem Auftritt lieber ihre Musik für sich sprechen. Untermalt war der Auftritt von einer fantastischen Lichter- und Lasershow, bei der die Bühne meist in tiefes Rot gelegt wurde. Mit einem teils fanatischen teils tief in sich gehenden Blick brachte Frontman Julian Casablancas seine Songs dem Publikum nahe, das frenetisch dazu feierte. Auch war eins ums andere Mal ein Crowdsurfer über den Köpfen der Fans zu erblicken, die einen erinnerungswürdigen Abschluss des ersten Tages erlebten.

Waren wir am ersten Tag noch in der Halle gefangen, bot sich heute die Gelegenheit, das ganze Gelände zu begutachten. Leider hatte es am frühen Nachmittag ein kurzes aber um so heftigeres Gewitter gegeben, bei dem auch die Open-Air Bühne etwas in Mitleidenschaft gezogen wurde, so dass der Auftritt von Jestofunk als Abschlussakt in die Halle verlegt werden musste. Also bot sich die Gelegenheit für einen kurzen Fußmarsch über den Campingplatz und zum sich anschließenden Fluss Traisen. Der Weg begann zunächst mit der Überquerung eines extrem glitschigen Schlammareals, das ein kurzer Regenschauer hinterlassen hatte. Zu dessen Überwindung boten sich drei prinzipielle Möglichkeiten: Der Nuke-erfahrene Besucher war bestens mit Gummistiefeln ausgerüstet und wählte den direkten Weg durch den Matsch. Ebenfalls gang und gäbe war es, gänzlich auf Schuhwerk zu verzichten und den gleichen direkten Weg zu wählen. Die Vorsichtigeren oder nicht so gut Ausgerüsteten drängelten sich derweil am noch halbwegs festen Rand aneinander vorbei. Zum Glück schafften die Veranstalter nach einiger Zeit Massen von Spänen heran und das Problem war gegessen.

Die Zeltplätze selbst hatten auf Wiesen stehend weniger unter den Wassermassen gelitten, zudem hatte die gleich wieder aufziehende Sonne den Rasen schnell getrocknet. Ganz Geschickte hatten gleich unter der Autobahnbrücke campiert und blieben so gänzlich verschont. So verwunderte es kaum, dass wir an der Traisen angekommen auch gleich die ersten Badenden erspähen konnten. Also ich kann von diesem Gelände und der Organisation darum einfach nur schwärmen: Keine Anreisestaus, wunderbare Bademöglichkeiten direkt bei den Zelten und relativ kurze Wege. Für alle Fußfaulen gab es zusätzlich eine Mini-Eisenbahn rund um das Gelände mit Anschluss zu den Parkplätzen und zum kostenlosen Shuttlebus vom Hauptbahnhof. Wesentlich besser kann man es sich nicht wünschen!

Auf dem Festivalgelände selbst gab es neben der musikalischen Unterhaltung und der kulinarischen Verköstigung noch zahlreiche weitere Möglichkeiten wie Bungeejumping, Menschenwuzzler, Streethockey oder Badminton. Gechillt werden konnte in einem orientalischen Zelt, welches aber ruhig etwas größer hätte ausfallen können. Bei Regen konnten die Besucher jederzeit in die Halle flüchten oder unverdrossen ausharrend den Bands draußen weiterlauschen. Lediglich ein paar Pfützen vor der Sun Stage führten am Freitag zu mehr oder weniger großen Lücken in der feiernden Menschenmenge und dienten zum zweifelhaften Zeitvertreib zwischen den Bands. Auch wurde dieses Mal der Wellenbrecherbereich rechtzeitig geschlossen, so dass es vorne nie zu voll wurde. Aber die Fans der dargebotenen Musik waren ja auch eher für gemütlicheres Feiern bekannt als jene bei rockigeren Festivals. Und so herrschte durchwegs eine extrem lässige Stimmung im mehr oder weniger leichtbekleideten Publikum, das beispielsweise ein Verbot des Crowdsurfens meistens gar nicht notwendig erscheinen ließ.

Der Hauptteil des Festivals nach dem gestrigen Warm Up Abend begann für uns mit dem Auftritt von The Streets. Mike Skinner quasselte rappenderweise von seinen Alltagerlebnissen und zog über so einige in letzter Zeit bekannt gewordene Kollegen her. Im Hintergrund als Bühnendekoration zwei überdimensionale Palmen, die angesichts des wieder - wenn auch nur für kurze Zeit - einsetzenden Regens, wie glatter Sarkasmus wirkten. Da hatten es die Reggae Urgesteine Third World in der trockenen Halle schon besser, auch wenn diese eher ob der draußen herrschenden Feuchtigkeit die Menschenmassen anzulocken schienen, hinterließ ihre Musik doch einen eher uninspirierenden Eindruck.

Passend zum Start von Kosheen hatte der Regen wieder aufgehört und so hatte sich gleich ein Großteil der Fans versammelt, um sofort von Sängerin Sian Evans zu einem Wet T-Shirt Contest aufgefordert zu werden. Wie zum Beweis zog sie dann bei der nächsten Nummer ihre Jacke aus und gewährte einige dem männlichen Teil des Publikums erfreuende tiefe Einblicke, bevor sie bald darauf sich bedankend die Fotografen aus dem Graben verscheuchte. Da die Temperaturen inzwischen auch schon ein wenig gesunken waren und der Sound sehr gefällig war, zeigte sich ein zum soulig angehauchten Trip-Hop begeistert tanzendes Publikum, das seine von einem Sponsor verteilten Regenschutzausrüstung kollektiv zu Boden schleuderte.

Drinnen trieb derweil Jan Delay mit nasaler Stimme die Fans zur Höchstform, die mitsingend die Arme schwenkten. Am meisten Stimmung kam beim Nena Cover "Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann" auf, als alle wild durch den Raum zuckten.

"Jovanotti for President", so hieß vor fast 20 Jahren das Debütalbum des italienischen Hip-Hopers. Inzwischen scheint er anlässlich der kürzlich gewonnenen Fußball WM mehr in eine andere Richtung zu steuern. Und so betrat der Künstler die Bühne in einem Trikot der Squadra Azzura sich laut über den Sieg freuend die Bühne und spielte wiederholt die Kommentatorstimme vom diesjährigen Endspiel ein. Auf der Leinwand liefen dazu während des Auftritts das ein ums andere Mal Szenen des Matches ab. Die Show und insbesondere die Interaktion mit dem Publikum war dabei phänomenal, hatte sich der Italiener doch seine Ansagen ins Deutsche übersetzt und lud alle mit folgenden Worten zu seiner Musik ein: "Rhythmus ist mein Weg, Liebe meine Botschaft!" Dass Jovanotti auch singen kann bewies er bei seinen zwischendurch eingestreuten Balladen, zu denen auf der rot eingefärbten Leinwand ein schemenhaftes schwarzes Paar tanzte.

Den Auftritt von Capleton ließen dann die meisten zugunsten von Jovanotti links liegen und kehrten erst zum weitaus erfreulicheren Nachtprogramm von Jestofunk in die Halle zurück. Die italienischen DJs hatten sich ihre Energie anscheinend gut über die lange Wartezeit hinweg konserviert und präsentierten zusammen mit ihrer imposanten Sängerin einen gut abgemischten souligen Rap. Danach war die Halle noch bis in die frühen Morgenstunden geöffnet und wurde von verschiedenen DJs beschallt.

Am dritten Tag sollte uns nun wirklich kein Regen mehr stören, denn beinahe unerbärmlich schien die Sonne heute vom strahlend blauen Himmel. Wohl dem, der sich zwischen den Auftritten eine Pause gönnte, um seine Füße oder gleich den ganzen Körper in den kühlenden Fluten der Traisen zu baden. Für alle weniger Lauffreudigen gab es auch einen heißbegehrten Erfrischungstunnel mit eingebauter Dusche auf dem Gelände. Bei der ganzen Hitze kam durch eine Absage der Zeitplan in der Halle kräftig durcheinander. Sehr zum Leidwesen der auftretenden Bands, die teilweise zur geänderten Anfangszeit ihrer Show mit recht wenig Publikum zu kämpfen hatten. War ja auch klar, waren die Fans zur geplanten Zeit vor Ort, so war noch Pause und nichts los. So gingen sie zunächst wieder raus und verpassten dann den unbekannten neuen Anfang.

So erging es auch uns bei der Hörspielcrew. Den Auftritt der sympathischen Senkrechtstarter am österreichischen Hip-Hop Himmel wollten wir uns schließlich nicht entgehen lassen, nachdem ihre Show uns bereits wärmstens ans Herz gelegt worden war. Und dann war bis auf stickige Luft noch nichts los auf der Bühne. Beinahe hätten wir dann den Anfang verpasst, wenn uns ein zurückgelassener Spion nicht rechtzeitig via Handy zurückeilen lassen hätte. So konnten wir nicht nur miterleben, wie zu fetten Beats kräftig abgetanzt wurde, sondern lauschten auch den nachdenklicheren Texten zum rotierenden Plattenteller.

Gentleman ließen derweil im Freien ihre große Party steigen. Unterstützt von elektronischen Gitarrenklängen sowie einem dreiköpfigen weiblichen Backgroundchor war der Sound auch gleich wesentlich angenehmer, als bei unserem letzten Besuch. Auch der Duett Part war ganz nett. Die Fans schienen jedenfalls begeistert und schrieen, kreischten und hüpften trotz der saharaartigen Temperaturen wild durcheinander. Dennoch kam bei uns die Message irgendwie nicht an und wir bevorzugten die Zeit während des Auftritts getrost zur Organisation von Trinkbarem zu investieren. Auch Mo Horizons konnten unsere Gemüter nur wenig bewegen. Einzig das zeitweise eingesetzte Saxophon und der cool Zigarette rauchende Schlagzeuger konnten ein wenig in unsere musikalischen Gehirnwindungen schleichen, während Frontfrau Leila zwar anmutig tanzte, ihre Stimme war aber eher nervend statt aufreizend.

Damit das alte Rockerherz nicht gänzlich unter den Vibes dieses Tages untergebügelt wurde, gab es - so sehr die Reihung auch verwundert - zwischen den Gentleman und Manu Chao mit den Pixies doch tatsächlich noch eine Band der anderen Art. Und wie ausgewechselt war auch plötzlich das Publikum vor der Bühne. Während sich die jüngeren Festivalgänger zwecks Nachschubversorgung nach hinten verzogen hatten, bekamen unsere Augen Fans zu sehen, die anscheinend nur für diese Band das Gelände betreten hatten. Wo hatte sich diese Masse an alternativen etwas gesetzteren Fans denn sonst den ganzen Tag versteckt? Die Pixies selber drehten gleich auch wesentlich lauter auf und zogen ihre gewohnt eher unbeteiligte, ganz auf die Musik konzentrierte Show durch. Böse Zungen würden sagen: Sie waren alt und brauchten das Geld. Gefallen hat es uns trotzdem. Und beim Abschluss mit "Where Is My Mind" kam dann auch richtig Stimmung inklusive einigen Crowdsurfern auf. Irgendwie muss man da immer an zusammenstürzende Hochhäuser denken...

Der Auftritt von Mattafix ließ darauf die Stimmung eines gigantischen Clubkonzertes aufkommen und brachte die Halle zum Brodeln. Das Hip-Hopper Duo hatte für die Liveperformance Unterstützung durch eine Gitarre und einen Bass besorgt - eine Methode, die sich bei so einigen Bands dieses Festivals bewährte. So füllte sich die Halle rasch und es wurde bei tropischen Temperaturen die Endrunde der Veranstaltung eingeläutet. Die Mischung von Reggae über Soul bis Pop kam wirklich gut an und an jeder Ecke wartete ein überraschendes musikalisches Element.

Manu Chao gehört mit seinem Radio Bemba Soundsystem zu den ganz Großen der Szene und so war es kein Wunder, dass bereits vor Konzertbeginn ein ungeheures Gedränge vor der Bühne herrschte. Verschwindet er doch zwischendurch immer wieder von der Bildfläche, um sich bei ausgedehnten Reisen durch Afrika und vor allem Südamerika neue Inspirationen zu holen. Dementsprechend weltumfassend ist auch seine Musik, die bei den Fans ein kollektives Armeschwenken durchzogen von diversen Rauchwolken hervorruft. Alle Unermüdlichen konnten dann noch bei den Stereo MC's das Festival ausklingen lassen.

Drei anstrengende und musikalisch abwechslungsreiche Tage auf einem wunderbaren Festivalgelände lagen jetzt hinter uns, die nur einen Schluss zulassen: Der Termin des nächsten Nuke Festivals wird in unserem Kalender wieder dick rot markiert.

Stefan Kuper

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