Rock im Matsch

Endlich hat das Jahr wieder so richtig zu leben begonnen, denken sich wohl die meisten Besucher als sie auf die herbeigesehnte Öffnung des Einlasses des Nova Rock 2009 geduldig wartend herumstehen, um dann mit umso mehr Energie auf das Gelände hin zu den beiden Bühnen zu rennen beginnen, einen Platz in der begehrten ersten Reihe zu ergattern. Das größte Festival Europas feiert heuer sein 5-jähriges Jubiläum und trumpft mächtig auf. Nicht nur, dass die größte Festivalbühne Europas aufgestellt wurde, auch das diesjährige Line-Up stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Zur Freude der meisten haben größtenteils die härteren Gitarrenriffs die Oberhand. Angeführt von den Übergöttern des Metal Metallica werden dieses Mal etliche headbangende Nacken durch das Gelände tanzen.

Einzig der Wettergott scheint ein wenig eifersüchtig ob all der unzüchtigen Musikverehrung geworden zu sein und schickt pünktlich zum Beginn von Metallica heftigste Salven gen Boden, um nicht nur das Fanherz, sondern auch den Boden fast den ganzen Samstag über zu erweichen. Kein Wunder also, dass die Organisatoren einiges zu tun haben, um die Wege und Parkplätze zumindest halbwegs nutzbar zu halten. Zu deren Unmut nehmen dann am Samstag Abend einige übermütige Festivalbesucher die Sache selbst in die Hand und kippen auf dem Verbindungsweg zwischen den beiden Bühnen, der aber auch wirklich arg schlammig ist, diverse Meter Zaun auf die Seite, um diesen als Trittuntergrund zu nutzen. So praktisch diese Lösung doch zu sein scheint, so unüberlegt ist diese Eigenmächtigkeit, da bei einer solchen Aktion doch allzu leicht jemand verletzt werden kann, auf den nichts ahnend ein Zaun nieder rasselt. Also, nächstes Mal lieber besseres Schuhwerk anziehen, als andere in Gefahr bringen!

Jetzt aber genug der Spaßbremserei, zumal das Gelände insgesamt doch dank Tonnen von Holzschnippseln und Stroh einigermaßen festen Tritt hat, erst recht, wenn man ein paar Umwege in Kauf nimmt. Vor den Bühnen scheint sich zumindest kaum jemand die Stimmung vom Woodstockfeeling verderben zu lassen. Statt dessen wird kräftig drauf los gefeiert.

Am Freitag herrscht sowieso noch eitel Sonnenschein und der ein oder andere spärlich bekleidete Festivalbesucher wankt trunken von all dem Sonnenschein, der Aufregung, dem Alkohol und der Musik von einer Bühne zur anderen, deren Line-Up praktischerweise etwas zeitversetzt ist, so dass man bei genügend Laufbereitschaft bei jeder Band zumindest reinhören kann bzw. genug Zeit zum Wechsel der Bühne vorhanden ist.

Auf der wirklich gigantischen Hauptbühne, der Blue Stage, wird an diesem Abend gleich der Hauptact des Festivals aufspielen: Metallica meldet sich nach 3 Jahren zurück am Nova Rock und alle sind schon gespannt, ob die Show wieder dermaßen bombastische Züge annehmen würde. Auch ansonsten ist der Abend hier vom guten alten Metalgeist durchzogen, so dass alles auf den Höhepunkt hinsteuert. So geben die Chicagoer Disturbed gleich eine stürmische Performance zum besten, bei der vor allem Frontman David Draiman zwar völlig haarlos, dafür aber umso stimmgewaltiger zu fesseln weiß. Wer dann noch einen Blick der weiß starrenden Augen abbekommt, dem stehen nicht nur die Nackenhaare zu Berge.

Da lassen sich die folgenden Mastodon aus Atlanta nicht lange bitten und schlagen mit wilden Gitarrenriffs nur so um sich. Denn Jungs sieht man an, dass sich auch privat kaum eine Metalparty auslassen, wobei es auch schon mal handgreiflich werden kann. So langsam wird es dann auch Zeit, dass alle Mamis ihre Kinder ins Bett bringen, denn nicht nur dass die Zeit vorangeschritten ist, mit den Leuten von Slipnot ist nun wirklich nicht mehr zu spaßen. Passend zum extrem harten, sich überschlagenden Sound und den aggressiven Texten tragen die Musiker ihre berüchtigten Gruselmasken. Die Menge ist begeistert bis verständnislos angesichts des Dargebotenen, je nach Geschmack.

Dann ist es endlich so weit, mit etwas Verspätung ob des ganzen Bühnenumbaus betreten Metallica ihre Nova Rock Bühne. Und wie passend setzt der bereits erwähnte Platzregen ein, der allerdings die je nach Song aufgewühlt tanzenden oder andächtig lauschenden Fans keineswegs abkühlen kann. Zu perfekt ist diese Show. Nicht nur, dass die verwegen im Regen feiernden Fans diverse aufmunternde Sprüche bekommen, sie werden auch mit einer wunderbaren Mixtur aus schnellen und melodiösen Nummern des gesamten über 25-jährigen Metallica Best-Of Sammlung belohnt. Kein Wunder, dass das dermaßen bei Laune gehaltene Publikum keinen Millimeter dem Regen weicht und den Auftritt bis zum Schluss in vollen Zügen genießt.

Wer diesen ganzen Verlockungen – zumindest teilweise – widerstehen kann, den zieht es zur fast ebenso großen Red Stage. Hier geht es heute zwar nicht dermaßen metallastig zu Werke, der Sound war aber um keinen Deut weniger hart. Insbesondere die Urgesteine des Crossover Faith No More bieten eine unterhaltsame Show. Das gerade gestartete Comeback wird dabei gleich selbstironisch verwertet: Wie ein gealterter Popstar betritt Mike Patton im roten Anzug und mit an einem Gehstock hinkend die Bühne. Doch man lasse sich nicht täuschen, der Sound hat nichts von seiner dreckigen Brillianz verloren. Und spätestens als Patton zum Megaphon greift, ist allen klar: Faith No More are back!

Das genaue bandgeschichtliche Gegenteil geben die sich final anschließenden Nine Inch Nails ab. Trent Reznor scheint ersteinmal die Schnauze voll von seinem Projekt – oder auch einfach nur zuviel Geld und Ruhm verdient – zu haben und so befinden sich NIN auf zumindest vorläufiger Abschiedstournee. Ein Anflug von Müdigkeit kann bei der Show allerdings nicht festgestellt werden, die irgendwie nie richtig fassbare, aber sich umso besser anhörende Mischung aus Industrial und Rock kommt berauschend wie eh und je. Wäre da nicht der Regen, der den Strom gegen Ende der Show per Kurzschluss einfach ausknipst und NIN damit endgültig von der Bühne fegt.

Was alles die Kombination aus jugendlicher Unbekümmertheit, Alkohol und Schlamm hervorbringt, kann auf so manchem Festival beobachtet werden, welches die entsprechnenden klimatischen Voraussetzungen mit sich bringt. So auch auf dem diesjährigen Nova Rock. Da sind zum einen die Verwegenen in Gummistiefeln, die bestens ausgerüstet Wind und Wetter locker stand halten und sich auf das Wesentliche konzentrieren: die Musik. Andere scheinen schier an den Bedingungen zu verzweifeln und flüchten sich in ihre vermeintlich sichere Zeltbehausung. Die kurioseste Variante stellt aber sicherlich der Schlammmensch dar. Aus der Not eine Tugend gemacht, scheuen sich einige Artgenossen nicht, jedes nur erdenkliche wasserhaltige Dreckloch zielsicher anzusteuern, um sich solange säuisch darin zu wühlen, bis an ihnen kein Quadratzentimeter saubere Haut mehr zu entdecken ist. Wohl dem, der nach der fälligen Reinigungsaktion den anschließend ebenso verschlammten Waschplatz säubern muss.

Nachdem am Freitag die eher harten metallischen Klänge im Vordergrund standen, ist das Programm heute abwechslungsreicher und etwas mehr in Richtung Rockpop ausgelegt. Da schwebt der sich frisch wieder auf Solopfaden befindliche Chris Cornell von ehemals Soundgarden und Audioslave – ebenso wild anzusehen, wie anzuhören – über die Bühne. Die fast perfekten Schwiegermutters Lieblinge Kaiser Chiefs haben zwar weniger ganz Neues in Petto, dafür wird aber eine solide Show geboten, die vor allem die tanzwütigen unter den Fans des Britpop begeistert.

Dass Placebo immer eine Bereicherung für ein Festival sind, zeigt sich auch in diesem Jahr. Immer noch kann die – wenn auch etwas in die Jahre gekommene und jetzt Pferdeschwanz tragende – Diva Brian Molko auch das vergrämteste Herz mit seinem traurigen Lächeln erweichen. Dazu noch der leidenschaftliche Sound und schon ist der gesamte verregnete Tag gerettet.

Gespannt sind alle vor der Red Stage Versammelten in erster Linie wegen der gerade neu gegründeten Band Chickenfoot. Das kratzbeinige Quartett setzt sich aus Van Halen und Red Hot Chili Peppers Musikern zusammen und probiert sich in solidem Rock. Das Ganze scheint ein hoch energetisches Explosivgemisch zu sein, hat aber eher wenig neue Ideen parat. Aber spielen können die Vier natürlich perfekt und so darf man gespannt auf den zündenden Funken sein.

Altbekannt am Nova Rock für ihre auch und gerade pyrotechnisch nichts auslassende Show sind In Extremo, welche den heutigen Abend beschließen. Der durch beispielsweise Schalmeie oder Drehleier angereicherte Mittelalterrock weiß immer wieder durch ungewohnte Klangfarben zu begeistern. Wenn dann auch diverse Feuerbälle über die Bühne schießen, wird einem gleich warm ums Herz.

Ende gut, alles gut! So könnte auch das wettertechnische Motto dieses Nova Rock lauten, denn am letzten Tag gibt es wieder eitel Sonnenschein. Dementsprechend gelöst ist auch wieder die partywütige Stimmung, nachdem der ganze gesammelte Schlamm zu Staub zerfallen ist. Da wollen die frisch wiederauferstandenen Guano Apes nicht hinten anstehen und wirbelten durch ihre Musik sowie den dadurch in Dauerbewegung angeregten Tanzbeinen der Fans so einiges an Staub auf. Übrigens Staub, einigen kann es aber auch gar nicht Recht gemacht werden. Kaum ist die Nässe verschwunden, so kommen wieder die ersten Beschwerden, ob des übermäßigen Staubs in der Luft. Irgendwie sollte man sich schon entscheiden können, entweder nasser Boden oder Staub in der Luft.

Zunächst dürfen noch Limp Bizkit auf der Bühne rüpeln. Die amerikanischen Könige des Crossover wissen nicht nur wilden Sprechgesang ins Micro zu schreien, auch Feuerzeuglichterstimmung kommt auf. Während dessen verwandeln die norwegischen Dimmu Borgir die Red Stage in ein wahres Flammenmeer. Ohne Rücksicht auf Verluste – auch und gerade auf die anwesenden Fotografen – explodiert die ein um die andere Lamettabombe oder es regnet Feuerstürme vom Himmel. Wehe dem, der die vorher ausgesprochenen Warnungen missachtete und den ungewöhnlichen isländischen Bandnahmen mit einer schwerblütigen nordischen Seele wahrnehmen will. Die Ohren werden gegen Ende des Festivals noch einmal so richtig durchgeputzt. Dafür sorgen dann zum Ende noch Machine Head mit ihrem trashgewaltigen Auftritt.

Die gepflegtere Art des musikalischen Ungehorsams kann der schon erschöpfte Fan auf der Blue Stage mit den Toten Hosen einen würdigen Festivalausklang feiern. Die nie um einen Spaß verlegenen extrem publikumsbezogenen Düsseldorfer bitten sodann einen Fan auf die Bühne, welcher vor den geschätzten 50.000 die Minuten seines Lebens herausschreien darf. Nur um letztendlich gerade noch am angedrohten Teeren und Federn vorbei zu schrammen, als ihm ob des allzu heftigen Herumgepose das ein ums andere Mal die Stimme etwas wegblieb. Da merkt man erst, dass ein solcher Auftritt bei entsprechender Bühnenshow verdammt anstrengend ist und einiges an Ausdauer verlangt.

So ist also eine punkige Festivalstimmung in den Ohren hängen geblieben, die auf eine Fortsetzung im nächsten Jahr harrt, hoffentlich mit etwas weniger Dauerregen.

Stefan Kuper

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