Die Wüste schlägt zurück

Jedes Jahr aufs neue fragt man sich, ist es noch da, dieses Kribbeln, das die gespannte Vorfreude erfüllt und die Hitze und Strapazen vergessen lässt beim Betreten des heiligen Bodens des ersten großen Sommerfestivals. Ja, da ist es wieder, dieses ohrenbetäubende Gefühl der Freiheit und Gemeinschaft von Tausenden, die zusammengekommen sind um beim Nova Rock das zu tun, worauf alle schon den ganzen Winter gebannt gewartet haben, zum großartigsten Line-Up der österreichischen Festivalszene drei ausgelassene Tage Musik zu genießen und zu feiern.

Mit großspurigen Versprechungen sind die Veranstalter in diesem Jahr angetreten. Alles soll besser werden, angefangen vom Verkehrskonzept über die sanitären Einrichtungen bis zur Verpflegung. Und tatsächlich können die erstaunten Sinne es kaum fassen, sie haben Wort gehalten: Es gab keine nennenswerten Staus, die Toiletten besaßen zumindest teilweise Spülung und Handwaschbecken und auch das geliebte österreichische Bier wurde wieder ausgeschenkt. Sogar die Sekurity ist wesentlich professioneller und relaxter eingestellt, so dass einem denkenswertem Wochenende in musikalischem Schwelgen ein würdiger entspannter Rahmen geboten wird.

Und wie könnte ein solches Event besser beginnen, als mit den magischen Klängen von Iamx. Die Diva des Electro-Pops Chris Corner, der ehemalige Frontman der Sneaker Pimps, beehrt das Festival mit einem Aerosmith-artigem Aussehen auf bombastische Weise. Und gleich dem Look hat sich die dargebotene Musik vom rein elektronischen zum mehr rockigen gewandelt, wobei vor allem die nicht mehr aus dem Computer sondern live auf der Bühne präsenten Drums als würzige Beimischung zu überzeugen wissen.

Eine wesentlich härtere Gangart wird am heutigen Tag auf der Red Stage eingeschlagen. Während es Papa Roach Sänger Coby Dick dank Funkmikro schafft, fast eine ganze Nummer auf dem Publikum Crowd Surfend zu absolvieren und damit sämtliche Security zur verzweifelten Hektik treibt, kommen bei Machine Head die Heabanger unter den Zuschauern ins Schwitzen. Zum Glück gibt es zumindest für die gequetschten vorderen Reihen Abkühlung in Form von Wasserbechern und Duschen aus den immer wieder aufgefüllten Wassereimern. Das ist auch bitter nötig, denn vor der vermeintlichen Nebenbühne ist heute wesentlich mehr los, als vor der Blue Stage.

Hier geben sich derweil die Editors mit einer Art melancholisch nervösem Indie Rock die Ehre, gefolgt von den ausschließlich im Punkrockstil covernden Me First & The Gimme Gimmes, die für Staubwolken im tanzenden Publikum sorgen. Die Mixtur aus Countrymelodien und punkigem Gitarrensound verbreitet gleich eine ausgelassene Stimmung, die bei den anschließend auftretenden Hives noch gesteigert wird. Ein typisch charmeurhaft flachsender Pelle Almqvist verbrüdert sich gleich mit dem Publikum und lässt seine Stimmgewalt auf die Menge hernieder prasseln.

Bevor der Höhepunkt des Abends eingeleitet wird, gilt es noch von einem kleinen Abstecher zu Billy Talent zu berichten. Die Band um den Frontmann mit dem unaussprechlichen Namen Benjamin Kowalewicz zieht vor allem die weiblichen Festivalbesucher in die ersten Reihen. Nur bei wenigen Bands kommt ein derartig begeistertes Teeniefangefühl auf, wenn Billy Talent zu punken beginnt. Und man weiß nicht, ob den Fans aufgrund der Musik oder doch eher des smarten bubenhaften Aussehens der Band schwummrig wird.

Aber dann ist es endlich soweit, auf den Bänken des etwas entfernt aufgestellten Bier sitzend, kann bei perfekter Sicht auf die Bühne das Ereignis des Tages bewundert werden. Die frisch wiedervereinten Smashing Pumpkins bezaubern durch Programm aus neuen Stücken und alten Hits aus lang zurückliegend erscheinenden Sphären. In kühles weißes Licht getaucht und mit wehenden weißen Gewändern gekleidet beeindruckt nicht so sehr die Show als vielmehr die Musik der Pumpkins das andächtig gierende Publikum, welches erst - dann aber umso emotionaler - bei den großen Songs aus den 90ern richtig mitzugehen beginnt. Diese gewaltsame Schwere an musikalischem Rausch wird wohl für immer die Zeiten zu durchdringen wissen.

Wie es die Musiker des Überraschungssiegers des Eurovision Song Contests 2006 angesichts der geschätzten soliden panonischen 35 Grad Celsius überhaupt bis zur Bühne geschafft haben, ist ein Rätsel. Aber unter ihren berüchtigten Masken muss der Schweiß in strömen fließen. Zumindest will wohl jeder einmal einen Blick auf die skurrilen Gestalten werfen, denn es hat sich ein ehrklägliches Publikum versammelt.

Frank Black betritt derweil mal wieder auf Solopfaden die Hauptbühne. Der Auftritt kann aber trotz seiner musikalisch hochwertigen Performance irgendwie nicht an die emotionsgeladenen Shows mit den Pixies mithalten. Vielleicht fehlt dem Ensemble einfach die schrille weibliche Stimme als Widerpart. Wesentlich einprägsamer geht es da schon bei den Stone Sours ab. Auch wenn die Songs live wesentlich härter und schneller gespielt werden, als auf dem Album, kommt die stimmliche Bandbreite des auch bei Slipknot tätigen Sängers Corey Taylor voll zur Geltung. Gewürzt wird das Ganze dann mit einem zwei Songs langen Soloauftritt des Frontmanns zwecks Gänsehautfeelingsvermittlung.

Einen Glanz aus Hollywood verbreiten darauf 30 Seconds To Mars in der österreichischen Grenzregion. Die von den Schauspielerbrüdern Leto gegründete Band hinterlässt einige rockige Erinnerungen, die in erster Line durch die Gothicrock- und Garageelemente geprägt werden. Wobei man wohl eher an Luxuslimosinengaragen als an ölverschmierte Manschasterwerkstätten denken muss.

Richtig ab geht es beim Auftritt von In Flames. Nicht nur, dass die Headbanger mal wieder Front machen, der extrem schnell gespielte perfekt sitzende Death Metal hallt noch Stunden nach dem Konzert in den Ohren wieder. Zwar nicht ganz so schnell und hart wie auf der in konzentrationsförderlicher Studioatmosphäre eingespielten Scheibe, weiß In Flames dennoch auch live voll zu überzeugen. Ebenso treffen die sich gerade neu erfunden habenden Linkin Park mit ihrer Show voll ins Schwarze. Während die neueren Stücke melodiöser und rockiger rübergebracht werden, hat die Vermischung von Metal und Rap bei den gespielten großen Hits nichts von seiner Außergewöhnlichkeit verloren. übrigens wäre dieser Auftritt und ebenso derjenige von Pearl Jam beinahe abgesagt worden, da bei einem Sturm auf einem in Venedig stattfindenden gestrigen Festival ein Großteil der Instrumente und des sonstigen Bühnenmaterials zerstört wurden. Daher noch ein extra großes Lob an die Nova Rock Veranstalter, welche mit außerirdischem Einsatz in aller Eile Ersatz organisiert und damit den zweiten Festivaltag gerettet haben.

Die sicherlich puppenhafteste bis in die Spitzen durchgestilteste Figur dieses Festivals Marilyn Manson trifft zum Abschluss des Abends auf die an Authentizität nicht zu überbietenden Pearl Jam. Ersterer betritt mit seinem diabolisch von unten in grelles rotes Licht getauchtem Gesicht die kerzenverzierte Bühne, um mit der typisch verzerrten Stimme unter Aufbringung aller mystischen Kräfte das Publikum in die Abgründe zu führen.

Wem das ganze Gehabe zu aufgesetzt scheint, der kann schnell die Bühne wechseln und dem im Vergleich äußerst natürlichen aber keineswegs weniger aufwühlenden Gitarrengewirr von Pearl Jam lauschen. Welch eine Befreiung und Offenbarung, dass Musik auch ohne übertriebene Showeffekte tief blicken lassen kann, während sich die Band um Eddie Vedder im Kreis zum explosionsartigen Grungen versammelt. Und so erklingt die Musik geradezu simple genial traurig im passend einsetzenden Regenschauer.

Das gestrige nächtliche Feuerwerk noch in den Köpfen betrachten wir den letzten Festivaltag mit gemischten Gefühlen. Die Sorge über verschlammte Wege und feststeckende Autos angesichts der in der Nacht niedergegangenen Regengüsse soll aber völlig unbegründet sein. Bietet das panonische Flachland doch nicht nur hinreichend heiße Sonnenstrahlen, auch ein stetiger angenehmer, wenn auch etwas trockener Wind lässt alle Regenhinterlassenschaften noch während des Morgens verschwinden, so dass der Festivalausklang noch einmal kräftig gefeiert werden kann.

Für so manchen mag das Event wohl schon nach den ersten beiden Tagen vorbei sein. Die vermeintlich größten Namen haben bereits gespielt und der gestern einsetzende Regen tat sein übriges, um die ersten bereits nach Hause zu schicken. Da ist es ein Glück, dass mit Drowning Pool gleich ein Kracher aufwartet, als Appetizer für den bis auf eine Ausnahme extrem harten Metaltag auf der Redstage.

Währenddessen wird auf der Hauptbühne nicht weniger gefeiert. Allerdings steht dieser Ort heute fast gänzlich im Zeichen des Punks, dessen Reigen mit der Skaband Less Than Jake eröffnet wird. Dominiert von schnellen Rhythmen, angeleitet durch hervorstechend gespieltes Saxophon sowie Posaune, nehmen sich die Amerikaner aus dem sonnigen Florida selber nicht ganz ernst, während sie ihre verrückte Performance hinlegen. Noch wilder wird es anschließend bei Flogging Molly. Alle Punks österreichs scheinen sich vor der Bühne zum Pogen verabredet zu haben. Zumindest bringt die punkige Interpretation irischer Volkslieder inklusive Fiddle, Tin Whistle und Akkordeon die Massen dermaßen zum Kochen, dass sich ein gigantischer Sandsturm vor der Bühne aufbaut. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Tage die betroffenen Tanzwütigen noch braune Erde ausgehustet haben.

Wieso zwischen das ansonsten extrem metallastige Programm der Red Stage eine Band wie Within Temptation gewürfelt wird, bleibt wohl ein Geheimnis. Dem Auftritt der Gothic Band tut es zumindest nicht besonders gut. Nicht nur, dass dieses Mal auf jegliches Zauberspielzeug in Form von Bühnendekoration und diversem pyrotechnischen Effekten verzichtet wird, die eher hohe bis kreischende Stimme von Frontfrau Sharon den Adel geht geradezu unter im frenetischen Slayer, Slayer Geschreie des vorfreudigen Publikums. Kein Wunder, haben doch die Children Of Bodom mit ihrem sehr schnell vorgetragenem Metal die Fans bereits ordentlich auf den Höhepunkt des Tages eingestimmt. Da wirkt die abkühlende Unterbrechung durch Within Temptation irgendwie störend.

Auf der Redstage wartet also das mehr oder weniger geduldige Metalherz auf das Highlight des Abends, während das sanfter eingestellte Publikum mit Mando Diao durch ein harmonierendes Gesangsduo verwöhnt wird. So geht es hier weniger grölend sondern feinstimmiger zu Werke. Und da surrt so manche verträumte Seele zu den Klängen aus den schwedischen Kehlen. The Killers wurden ja bekanntlich in den absoluten Pophimmel geadelt, als sie sowohl bei U2s Vertigo Tour mitspielten, als auch bei einigen Morrissey Shows dabei sind. So ist es auch kein Wunder, dass die Band aus dem hitzigen Las Vegas beim Novarock groß auftrumpfen würde. Ob ihnen allerdings dermaßen divenhaft große Hosen bereits stehen, dass sie die Kameraleute für die Nahaufnahmen auf den Videowalls von ihren Plätzen verdonnern, wage ich doch zu bezweifeln. Sei's drum, für die fehlenden Nahaufnahmen gab es zur Entschädigung ein feines Konzert mit allen bekannten Stücken vom Erstlingswerk.

Aber wen stört so etwas schon, wenn gleichzeitig die Legenden des Metal, die Könige des Headbangergemeinde zu bewundern sind: Slayer. Wer noch ein Fünkchen an Energie in seinem Körper verspürt - und das scheinen fast alle Versammelten zu haben -, kann hier noch einmal seinen Aggressionen freien Lauf lassen und sich zur den harten Riffs von Kerry King die restlichen Gehirnzellen aus dem Kopf schütteln.

Umso friedlicher und wieder fast staufrei verläuft dann die Heimfahrt nach diesem großartigen Festival, dass immer mehr ins rollen kommt. Wir sind schon auf die (nochmalige) Steigerung im nächsten Jahr gespannt.

Stefan Kuper

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