Von jungen und alten Herren

Dunkel und düster erschien das Planet, als wir an einem novemberlichen Montagabend eintrudelten, um dem Konzert von New Model Army, einer der großen Punk Rock Bands der 80er, sowie Exit To Eden, den Lieblingen der österreichischen Schwarzen Szene, beizuwohnen.

Verhältnismäßig leer war der Saal (erst halb gefüllt), waren die Shows schließlich früh angesetzt und das Fernsehprogramm für einen Montagabend viel zu gut. Die pünktlich Anwesenden sollten jedoch belohnt werden: Ein unglaublich fulminanter Auftritt von Exit To Eden erwartete sie. Die Band rund um den charismatischen Frontman RadoMir belebte innerhalb von wenigen Sekunden die schwarzen Sinne, meist gehüllt in gedämpftes Rotlicht, oft von Nebel verborgen, der eine außergewöhnliche Atmosphäre generierte. Musikalisch dargeboten wurde eine exzellente Auswahl an verschiedenen Stilen von melancholischen Balladen zu psychedelischem Dark Wave bis hin zu waschechtem Gothic Rock, alles geformt durch ihren eigenen prägnanten Stil. Dazu agierten die Künstler auf der Bühne von subtil zurückhaltend bis mitreißend extrovertiert, stets alle Blicke bannend. Mit edler in schwarz gehaltener Kleidung unterstrich das Quintett auch ihre optischen Werte, die ebenso zu dieser speziellen Mystik beitrugen. Oft mit geschlossenen Augen bewegten sie sich sanft zu den finsteren Klängen, entlockten ihren Instrumenten gefühlvolle Töne und erfüllten einen jeden mit besonderen Emotionen. Viel zu früh fand die beachtliche Performance ein Ende, nicht einmal Zugabe-Schreie wurden erhört.

Die Pause bis New Model Army endlich begann erschien als eine halbe Ewigkeit. Inzwischen heizte man das Publikum mit Songs vom Band an, wozu man sich einer Selektion von Liedern bediente, die als Sampler vereinigt den Titel "Populärste Mainstream-Hits von den 60ern bis heute" hätten tragen können. Janis Joplin leitete zu Eminem über, kurz darauf die Queens Of The Stone Age, abgelöst durch eine höchst jazzige Version von Tainted Love, zerschlagen durch Cypress Hill, alles bunt ergänzt durch diverse 70er-Jahre gute Laune-Liedchen. Während der einzelnen Schlusstakte konnte man stets ein hoffnungsfrohes Einatmen, bei den Anfangstakten erneutes enttäuschtes Ausatmen vernehmen.

Doch dann, irgendwann als man sich an Rap im Wunderland gewöhnt hatte, betraten Justin Sullivan und Co. die Bühne. Entweder waren sie in der endlosen Zeit des Wartens gealtert oder die 80er doch schneller vergangen, als man dachte. Eine fünfköpfige optische Mischung aus den Rolling Stones und System Of A Down bewegte sich eifrig im Rampenlicht, sodass man fast Mitleid mit den Kniegelenken verspürte, während man sich wunderte, dass ältere Herren tatsächlich noch solch eine Show abliefern können. Das nun doch in großen Zahlen angerückte Publikum störte das keineswegs – mit leuchtenden Augen absorbierte die Großzahl die Bewegung des bunt angestrahlten grauen Haars. Die Träger dieses standen nicht einfach nur so da – sie sprangen wild herum, droschen wütend auf ihre Instrumente ein, stöhnten lustvoll ins Mikrophon, schaukelten ihre alten Hüften im Takt. Die Menschenmenge drängte dicht aneinander, die Blicke ausschließlich auf die Bühne gerichtet, die oft leuchtend erhellt wie ein Meer aus Lichtern schien, in anderen Momenten mysteriös und finster. An deren Rändern dröhnten riesige Lautsprecher jedes noch so kleine Geräusch in den Saal, zur Freude der geizigen Fans und Anwohner auch bis hinaus zur Straße, wo sich nicht wenige zu einem Gratiskonzert versammelten, dem man auch ohne Ohropax beiwohnen konnte.

Was optisch an Vergewaltigung grenzte, war auditiv jedoch eine Freude. Eine Menge alter Hits gab es zu hören, dazu Lieder vom neuen Album "Carnival", die in Zukunft zu solchen werden könnten. Bei Klassikern wie "51st State", "Poison Street" oder "Vagabonds" jubelte die Masse ganz besonders, bebend vor Verzückung, mit ausgestreckten Armen und weit aufgerissenen Mündern, deren Schreie von der lauten Geräuschkulisse absorbiert wurden. Aussagekräftig und fesselnd war die Stimme Sullivans, poetisch die Texte (oder was der Verstärker von ihnen übrig ließ), mitreißend der Takt der Drums, satt und laut der Bass, beschwingend die Töne des Keyboards, magisch der Klang der akustischen, präzise der der E-Gitarre. Ein Konzert das man als musikalischen Leckerbissen bezeichnen kann.

Gleichzeitig ertappte man sich bei all dieser Begeisterung immer wieder, zurück in den Bann der Bühne gezogen zu werden, um in der Realität aufzuwachen. Was im Mittelpunkt dieser stand, war nicht jener coole Held, den wir von Postern und anderen Relikten der 80er und 90er kannten, sondern ein gealterter Justin Sullivan, ein großgewachsener britischer Al Pacino, mit weit aufgerissen Augen, hautenger Kleidung und schweißüberströmtem Körper, den er enthusiastisch zur Untermalung seines Gesangs einsetzte. Eine lebende Legende in ihrer etwas anderen Form (denken wir an Ozzy Osbourne...). Das Charisma war ihm geblieben, ebenso die Energie. Doch lenkte davon zu sehr der blitzende Silberschmuck ab – eine glänzende Halskette und eine ganze Menge Ringe an den Ohren, die wohl die Wurzeln im Punk symbolisieren sollten, sowie ein wackelndes Kettchen am linken Handgelenk. Die restlichen Musiker hingegen brillierten durch ihre Unscheinbarkeit. Ich erinnere mich noch an einige lebende Haarknäuel, die über die Bühne huschten, doch mehr blieb in dieser Hinsicht von diesem Abend nicht erhalten.

Insgesamt gesehen zwei grandiose Shows – sofern man, nachdem Exit To Eden das Rampenlicht verlassen hatten, erst einen langen Spaziergang gemacht hätte, um sich anschließend mit geschlossenen Augen mitten in der Menge ganz der Klangwelt New Model Armys hinzugeben.

Eva Fischer-Ankern

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