festivalwelt.de / Reportagen / NFD
The Sound Of Hell
Grundsätzlich habe ich eigentlich überhaupt nichts gegen eine horizontale Erweiterung meiner Musikkenntnisse, sei es in die Tiefe oder Breite. Doch diesmal hatte ich es mit "Gothic Rock" zu tun. Das erste Mal kam ich mit diesem Begriff nun in der Szene Wien in Berührung, wo vom Ankündigungsplakat drei finster anmutendende Gestalten alias Musiker oder sogar Künstler der Gruppe NFD, ehemals Fields Of The Nephilim, entgegen blickten. Richtig gruselig, nicht gerade das richtige für stürmische Winternächte, dachte ich, als ich die düstere Location betrat. Hie und da ein Alt-Hippie (meines Erachtens) mit viel zu engen speckigen Lederhosen à la Jim Morrison (ohne jedoch dessen Sexappeal) und einem Bikergilet, ein übelgelaunter Security oder ein "deklarierter" Fan. Letztere Sparte schien zwei Stile in ihrem Äußeren zu kultivieren: Einerseits die übliche Maskerade ganz in schwarz und weiß mit dem Credo "Ich hasse die Welt und die Welt hasst mich", eingehüllt in lange, am Boden schleifenden Regenmäntel sowie kurz geschorene Handyproleten mit hautengen Jeans und Springerstiefeln. So gesehen konnte man allein an der Optik der Besucherschaft das Verschmelzen der Musikrichtungen "Gothic" und "Rock" wahrnehmen – eine Symbiose die nichts Gutes verhieß. Das Schild "Im Interesse der Künstler bitte nicht rauchen" wurde in eine qualmende Rauchwolke gehüllt, als das kleine Grüppchen Hardcore-Fans ungeduldig mit monströsem Schuhwerk am Boden stampfte. Auch der Aggressionspegel schien mit zunehmender Künstlerverspätung merklich anzusteigen.
Doch plötzlich, ein paar schwindelige Gestalten huschten über die Bühne! Ein Tusch, und mit einem Male war der Veranstaltungsraum von einer wall of noise umgeben – und ich mitten drin. Schnell, die Ohropax in den Gehörgang, Augen zu und von einer Sommerwiese träumen. Doch nein, der Lärm durchdringt mich vollends, harte Gitarren schlagen wie Stromschnellen durch den Raum, dazu eine grölende Sangesstimme, ein peitschendes Schlagzeug im Taumel der Raserei. Immer schneller, immer lauter, immer heftiger – welch Albtraum! Ein Blick zurück in die Menge lässt schematisch weit aufgerissene Augen und Münder der geifernden Fans erkennen. FANS....!!! Die Kunst von NFD dürfte es demnach sein, ihrer Anhängerschaft die Aggression aus dem Körper zu entziehen, mithilfe von wilden Parolen, zweideutigen Gesten und einem schier unerträglichen Untergangsszenario. Während Fotografin Eva eifrig die mimischen Besonderheiten und Verfehlungen auf die Speicherkarte bannte, hatte ich Zeit, die Gruppe aus nächster Nähe zu betrachten. Peter "Bob" White, Simon Rippin, Tony Pettitt & Co entsprachen so gänzlich dem Klischee der harten Rocker, dass man nicht mehr sicher sein kann, ob es ironisch gemeint war oder nicht. Keine Spur von schwarzer Ästhetik oder todessehnsüchtigem Pathos. Vielmehr verkörperten sie Drugs & Six Bottles Of Beer A Day; wobei der Sex, das normalerweise zweite Element, schwer einzuordnen, bzw. auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Besonders der Frontman hatte es mir angetan: Feuerrote und fettige Dreads (man konnte den Schweiß förmlich riechen), gepaart mit der Physiognomie des Biertrinkers, welcher das Gebräu bei körperlicher Betätigung über die Haut absonderte und somit eine Art Gesamtkunstwerk abrundete. Schreiend, schweißtreibend und saumäßig schlecht. Ein hartes Urteil, doch der erste Eindruck hat es nicht nötig, zuvor vom hundertmaligen Hören von NFD-Platten aufgeweicht zu werden. Ein Gig genügt, um zu erfahren, dass die musikalische Leistung allenfalls Mittelmaß war (direkt aus der Hau-drauf-Schule übernommen), die Texte zu wünschen übrig ließen und die Atmosphäre seitens der Musiker von einer deutlichen Portion Langeweile überschattet war (was im Zusammenhang mit der niedrigen Besucherfrequenz stehen dürfte). Einzig ein paar besonders Begeisterte stellten sich mit Handy vor die Bühne, um ihr Idol fotografisch festzuhalten. Andere wiederum zuckten vollends aus, ein Vorgang, der sich in hysterischem Gekreische manifestierte. Vielleicht ist es gerade das, was das Angesicht des "Gothic Rock" ausmacht, relativ professionell produzierter Instrumentenlärm, der ein Schlachthaus auszufüllen vermag und ein paar Fanatiker, die sich daran aufgeilen. So mancher Kritiker verlässt hierbei das Feld und überlässt es jenen, die dann völlig befreit und schwerelos (ich denke an meine erste Beichte) in die Nacht ziehen. Fürs nächste Mal wäre dennoch eine Yoga-Session anzuraten...schon allein dem Gehörgang zuliebe.
Michaela Drescher
* Kommentare lesen/verfassen *
* E-Mail an den Autor * Eigenen Bericht schreiben * Zurück zur Auswahl *
|