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Melt! Intim Festival
(IAMX, Client & Das Pop)
Sneaker Pimps. Chris Corner. Splinter. Diese Namen reichen in der Regel schon aus, um mich um den völligen (Rest)Verstand zu bringen. Als man mir dann von IAMX berichtete (allein hätte ich Verplaner wahrscheinlich noch nicht einmal mitbekommen, daß Chris Corner der Frontmann ist...), war ich natürlich augenblicklich Feuer und Flamme. Und so kam es über einige Umwege, daß ich mit zwei Freunden plötzlich vor einem meiner größten Idole und Lieblingssänger stand:
Vor der Bühne hatte sich eine kleine Menschenmasse angesammelt, als plötzlich die erste Gitarre losbrüllte. Es hörte sich gar nicht schlecht an und lockte schlagartig die restlichen Leute nach vorne. Das Pop aus Belgien, bei deren Namen ich nie im Leben an lauten, deftigen BritPop sondern eher an ein The Notwist-Gedudel gedacht hätte, legten eine wirklich nette Show hin. Vieles klang meiner Meinung nach ein bißchen nach Franz Ferdinand und Muse, aber etwas Eigenes hatten sie schon: nämlich Energie. Es gibt tausende Bands, die an andere erinnern, doch mit wirklichem Elan und Freude eine gute Show hinzulegen ist auch nicht zu verachten. Der schlaksige Sänger tanzte komplett weiß gekleidet (und mit rosa Schnürsenkeln) wild auf der Bühne herum und erstaunte mit einer sehr schönen, klaren Stimme. Zwischendurch versuchte er sich an seinem ziemlich ramponierten Gerät, was wohl ein Keyboard in Gitarrenform darstellen sollte, aber jedes Mal, wenn er richtig abrocken wollte, fiel der Stecker aus Buchse. Ach und außerdem war eine Taste abgebrochen. Also richtig raw und dirty... Das Pop haben auch eine neue Platte herausgebracht, von der sie einige Stücke zum Besten gaben. Der letzte Song war auf Deutsch und dafür hasse ich sie wirklich. Ein Belgier, der kaum Deutsch kann, geschweige denn akzentfrei, sollte einfach nicht Deutsch singen... brrr!
Die nächsten auf dem Programm waren die angeblich so exzellenten Client, eine Grippe...äh Gruppe, die von Depeche Mode-Martin Gore entdeckt und gefördert wird. Jemand aus dem Publikum vertraute mir allwissend tuend an, daß Client in die Richtung Hooverphonic gingen und sehr triphoplastig seien. Hmm... NeoPop-Elektro mit TripHop gleich zu setzten, nur weil beides elektronisch ist?! Ich weiß ja nicht. Als die beiden Mädchen auf die Bühne gingen, dachte ich für den Bruchteil einer Sekunde, da stünden Cobra Killer. Haargenau die gleiche Kostümierung und derselbe Stil: Schwarze Lackhandschuhe, ein graues, langes Kleid und puppenartige Lackschühchen. Cobra Killer tranken Wein aus der Flasche (und schütteten ihn sich anschleißend über den Kopf...), Client tranken irgend etwas anderes Alkoholisches aus einem großen, bauchigen Glas und bückten sich immer wieder so tief nach ihrem Getränk, daß zwangsläufig ein jeder Blick in ihren Ausschnitt fiel. Ich weiß nicht, wer hier von wem nachmacht, aber Cobra Killer habe ich zuerst so kennen gelernt und ihnen nehme ich ihre Masche auch ab. Außerdem sind Cobra Killer lustig und nehmen sich selbst auf’s Korn, Client jedoch wirkten sehr ernst und überzeugt und das hat einfach nicht zu der Musik gepaßt. Somit haben mich Client nicht all zu sehr begeistert. Die Musik kam vielleicht bei den ganzen Koksern, die vor mir standen und mich immer wieder provokant anrempelten, gut an, aber mich erreichten sie nicht wirklich. Viele Beats waren zwar nett, die Texte jedoch flach (wie leider meist bei solcher Art von Musik) und die Show mäßig. Die Sängerin hatte immer den selben Hüftschwenker drauf und wird ihn wohl auch die nächsten fünfzig Shows über haben. Die Frau am Keyboard bekam diesen Hüftschwenker immer mal wieder zu spüren und damit wollten sie dann wohl andeuten, daß sie lesbisch sind. Wahrscheinlich bewußt in den Hintergrund platziert, bediente ein fetter, schmalziger Typ den Synthesizer und zerschmetterte mit seinem Dasein jegliche wonnige Phantasien, die man automatisch bei den beiden nicht all zu hässlichen Klientinnen bekam... Im großen und ganzen wirkte alles ein bißchen zu schüchtern für diese Art von Musik und ich hatte schnell das Gefühl, daß die beiden sich in ihren Klamotten nicht wirklich wohl und zuhause fühlten. Vielleicht sind Client sonst gut und in der Elekroszene ein Glanzlicht, aber an diesem Abend wirkte das alles mehr so wie ein gemütlicher Faschings-Karaokeabend mit dem Thema Cobra Killer. Akzeptable Musik, öde Show.
Meine Augen müßten ziemlich hell aufgeleuchtet haben, als die Frontfrau von Client sagte: "Enjoy IAMX!". Ich bewaffnete meine Kamera mit frischen Batterien und fing an jede Sekunde zu zählen. Endlich würde ich den glorreichen Sänger und die heißgeliebte Diva mit der engelsgleichen Stimme live sehen! Zwar nicht zusammen mit den Sneaker Pimps und leider auch nicht zu Splinter-Zeiten, aber Chris Corner ist und bleibt Chris Corner. Und das sollte er an diesem Abend auch bestens beweisen. Am Anfang turnte nur ein Chris Corner-Verschnitt auf der Bühne herum und schraubte alles fest, was eben festzuschrauben war. Man munkelte, daß dies ebenfalls ein Mitglied von IAMX sei und man hatte recht. Das Double schnallte sich plötzlich eine kopflose Gitarre um den Hals und Chris und die Dritte im Bunde, eine sehr verschlossen wirkende Dame, die mich ein wenig an Trinity aus Matrix erinnerte, stolperten auf die Bühne. Auf einer Leinwand erschien Chris‘ Kopf unter Wasser mit einem weißen Schild auf den Lippen auf dem "Love Me" gekritzelt war. Dieses Bild zuckte nervös hin und her und verfärbte sich ab und an rot. (Diesen Trailer kann man übrigens auch auf der Homepage www.iamx.com anschauen). An dieser Stelle muß ich sagen, zu Becoming X-Zeiten sah Chris einfach nur putzig aus, auf der Splinter-Platte gab er eine eingebildete, verpeilte Diva ab und zu Bloodsport-Zeiten sah er einfach nur gut und ziemlich verdrogt aus, aber an diesem Abend hatte ich wirklich ein bißchen Angst vor ihm. Meine Kollegin Eva hatte in Österreich ja schon einige Photos geschossen und von daher dachte ich, ich wüsste was da auf mich zukommt, aber Bilder können das einfach nicht wiederspiegeln. So einen fertigen Chris hätte ich mir niemals erträumt! Mit seiner üblichen Diven-Art präsentierte er einige Stücke vom neuen Album "Kiss + Swallow" und bewegte sich die ganze Show über wie ein Roboter auf der Bühne umher. Es sollte wohl hypnotisiert aussehen, aber auf mich wirkte es irgendwie einfach nur krank - im positiven Sinne. Sein gleichgesichtiger Kollege hüpfte über die Bühne, als hätte er rote Ameisen in seiner Hose, und die Keyboarderin stand die ganze Zeit nur an einem Fleck, von dem aus sie starr und tot durch ihre übergroße 70er Jahre-Sonnenbrille ins Leere starte. Was ich beim späteren Hören des Albums feststellte war, daß man leider nur die wilden Sachen gespielt und einige sehr schöne Tunes weggelassen hatte. Als kleines Special spielten sie die letzte Sneaker Pimps-Single "Sick" als IAMX-Version, also viel elektronischer und treibender (und meiner Meinung nach viel besser) als das Original. Man kann nur hoffen, daß sie das noch mal in diesem Stil als Single veröffentlichen. So etwas sollte man niemanden vorenthalten. Nach vielleicht 8 Liedern kündigte Chris an, daß man nun den letzten Track für diesen Abend spiele und auch auf Zugabe- und später dann Buhrufe reagierte man leider nicht. Das war schon ein bißchen enttäuschend, aber wenn man darüber hinweg sieht, war es eigentlich schon ein sehr sehr schönes Konzert geballt voller extremer Gefühle und ich muß sagen: Chris hat sich musikalisch kein bißchen verschlechtert, sondern eher sehr schön (wenn auch sehr elektronisch) weiter entwickelt und sich zumindest in diesem Projekt komplett der elekronischen Musik und der Synthie-Beats versprochen. Die neuen Lieder erinnern immer wieder wie eine Art Déjà Vue an "Splinter-Zeiten", schauen aber ebenfalls starr und paralysiert nach vorn in die Zukunft, in der wir hoffentlich nicht zum letzten Mal von IAMX gehört haben.
By the way:
Chris Corner schafft mit seiner Musik das, was sonst nur wenigen gelingt: er führt völlig verschiedene (Sub)Kulturen auf seinen Konzerten zusammen. Und so kam es auch an diesem Abend, daß "Placebo-Mädchen" (spätestens seit der gemeinsamen Version von "Every Me Every You") und Gothics auf Esoterik-Freaks, HipHoper und zugekokste Yuppies im Anzug trafen. Und das Schönste an allem war: es gab keine Schlägerei oder dergleichen! Ich wurde zwar anfangs von einem ziemlich penetranten Yuppie angerempelt und meine Versuche ihn freundlich darum zu beten, damit doch bitte aufzuhören, schienen ihn nur noch mehr dazu anzustacheln. Aber das war wirklich der Einzige, der sein Gehirn wohl versehentlich gleich mit durch die kleinen, niedlichen Röhrchen geschnieft hatte...
Fabian Fascher
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