Im Geiste Woodstocks

1969 ereignete sich das Musikereignis der Geschichte. Lebten einst die Besucher im Dreck und wuschen sich in Schlammpfützen, wurde die Beat Generation langsam aber unaufhaltsam zum Teil des Establishments und ist deutlich komfortverwöhnter. Dennoch sind die Gefühle und Legenden aus jener Zeit nicht vollständig verschwunden, und wenn sich eine dermaßen großartige Gelegenheit ergibt, die alte Zeit wieder aufleben zu lassen, so strömen sowohl die alteingesessenen Fans als auch die Jugend, die ihr Stückchen von den alten Geschichten aufsaugen möchte, herbei, um zwei Tage Lovely Days zu feiern. Auch wenn an die Stelle von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll inzwischen eher Familie, Beruf und Auto getreten sind, so ließen sich viele dieses einmalige Erlebnis an den bisher heißesten Tagen des Jahres nicht nehmen. Es wurden noch einmal die alten Klamotten aus den Schränken hervorgezaubert und bewaffnet mit Decken, Klappstühlen oder sich auf der VIP-Tribüne aalend wurde den Altmeistern der ihnen gebührende Tribut gezollt. Gewürzt wurde diese Versammlung aus gesetzteren Zuschauern, die oftmals ihre auch schon erwachsenen Kinder gleich mitgebracht hatten, durch eine gesamteuropäische Ansammlung von Alt Hippies, Bikern und sonstigen (Musik-)Verrückten, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten.

Wer wollte, musste dabei auf den im Vergleich zum Woodstock paradiesischen Komfort nicht verzichten. Der Boden des Geländes beim VAZ in St. Pölten bestand nicht etwa aus einer undefinierbaren Schlammschicht, sondern aus einem befestigten Untergrund. An jeder Ecke gab es Essens- und Getränkestände, die Luxuriösesten residierten im schattigen VIP-Bereich. Auch waren die Campingplätze vergleichsweise leer, dafür gab es in der Umgebung seit Wochen zu dem Termin praktisch kein freies Hotelbett mehr zu buchen.

Der Beginn unseres Eintauchens in die altehrwürdige Musikgeschichte fiel leider etwas langatmig aus. Donovan kam wohl mit der Hitze nicht so ganz zurecht und säuselte mehr von seiner geliebten Gitarre Kelly, als dass er richtig Stimmung aufkommen ließ. Da konnten auch die Melodien seiner bekannteren Stücke "Mellow Yellow" oder "Atlantis" nicht viel retten. BAP hatten da schon wesentlich mehr drauf, als sie schwungvoll die Bühne stürmten. Dass die im Kölschen Dialekt singenden Germanen hier im fernen Süden beim Publikum einen schweren Stand haben würden, war zwar abzusehen, die mitgereisten Fans der in Deutschland mit ihren drei Stunden Konzerten regelmäßig Stadien füllenden Band feierten Wolfgang Niedecken aber umso lauter und sangen kräftig mit. Star Violinistin Anne de Wolff, die BAP bei ihrer Sommertournee begleitet, brachte eine feine veredelnde musikalische Note mit.

In einem bombastischen psychedelischen Dauerwahnsinn gefangen sah sich die Zuhörerschaft beim Auftritt des Led Zeppelin Altmeisters Robert Plant. Einen Ventilator direkt unten vor sich aufgebaut wehte seine lange graue Mähne durch die niederösterreichische Nacht, während die bis in die letzten Ecken des Geländes vordringende Stimme nur noch von dem unendlichen Meer an Gitarrenriffs übertroffen wurde. So war die gesamte Musik ineinander verwoben und schwoll zu einer bis in die Fingerspitzen kribbelnden Anspannung an, um sich zum Schluss zu einem alles erlösenden Whole Lotta Love zu entladen.

Der Grande Senior des Glam Rock, Bryan Ferry, mit seinen wiedervereinten Roxy Music bildete den königlich glanzvollen Höhepunkt und Abschluss des Abends. Nicht weniger als zehn Musiker waren um den in einen edlen Anzug gekleideten dandyhaften Künstler versammelt, um mit einer Symphonie an geradliniger Verspieltheit die unvergessenen Hits dieser Band vorzutragen. "A Song For Europe" ließ das Herz aller Anwesenden in Tausende Splitter zerspringen, während Bryan Ferry selbst vor Schmerz zu versinken schien. Die Musik wurde durch zahlreiche geniale Gitarrensoli und zarte Pianoklänge umso bombastischer im Kontrast zum über allem stehenden, alles auf sich vereinigend dahingleitenden Ferry, dessen Auftritte nichts an Charme verloren haben, sondern wie guter Wein zu einem im Laufe der Zeit immer kolossaleren Erlebnis weiterreifen.

Tag Zwei brachte leider eine kleine Panne mit sich, der aus Deutschland kommende Flieger der Manfred Mann's Earth Band hatte wohl gehörig Verspätung. So begann der Auftritt mit einiger Verzögerung und musste arg auf eine knappe dreiviertel Stunde zusammengestaucht werden. Die Band ließ sich die gute Laune aber nicht verderben und stürmte so eilig auf die Bühne, dass letzte Umbauarbeiten noch nebenbei während des Konzertes vorgenommen wurden. Der Sänger selbst tingelte nach seinem Konzert noch stundenlang über das Gelände und sprach mit seinen Fans. Auch zahlreiche Erinnerungsfotos mit dem Künstler Arm in Arm wurden gemacht. Das nenne ich wahren Einsatz, auch wenn es doch etwas arg anbiedernd rüberkam.

Das Festival war heute nochmals deutlich gefüllter als am gestrigen Tag und so gab es vorne auch das ein ums andere Gedrängel, auch wenn die Besucher eigentlich zu den friedlichsten gehörten, die je auf einem Festival gesichtet wurden. Die Probleme kamen nur durch die mitgebrachten Klappcampingsessel auf, deren Besitzer sich bis in die vordersten Reihen wagten, um mitten in der Menschenmasse sitzend oder neben ihrem Stuhl stehend auszuharren. Das nahm natürlich eine Menge Platz weg und störte beim Herumlaufen ungemein. Wenn dann sogar komplette Sonnenliegen oder Campingbänke verwendet wurden, erscheint die Grenze der Vernunft überschritten - bei allem Verständnis für die alten Gelenke der Zuschauer, aber auf dem Boden sitzen, wie es die allermeisten sowieso getan haben, sollte doch auch ausreichen.

Der Auftritt von Gary Moore war geprägt durch sein phänomenales Gitarrenspiel. Nur wenige können dieses Instrument dermaßen zum Singen bringen. Der Auftritt des sich seit den 90ern ganz dem Blues verschriebene Künstlers plätscherte demgemäß auch eher ruhiger dahin und er spielte nichts von seinen älteren harten Stücken, wodurch eine etwas langatmige Stimmung aufkam.

Ganz im Gegensatz dazu stand Billy Idol - der ewige Punk ist zwar privat nach diversen Exzessen geläutert, seine Musik hat aber die alte Energie weiterhin inne. Und mit einem selbstironischen Zwinkern in den Augen posierte er auf der Bühne, rannte durch den Bühnengraben oder schlug "Rebel Yell" als neue österreichische Nationalhymne vor. Auch Gitarrenlegende Steve Stevens zeigte sich bei etlichen Soli bestgelaunt, während der Schlagzeuger beim Schlagen seines Instrumentes die Sticks bis zu fünf Meter in die Höhe wirbeln ließ, um sie gekonnt für den nächsten Beat wieder aufzufangen. Der Auftritt war mit Abstand die beste und energiegeladenste Show des gesamten Festivals. Auch die Fans gerieten völlig aus dem Häuschen, so dass beispielsweise eine auf Schultern getragene jugendliche Schönheit jedes Mal blank zog, wenn ihr Billy in ihre Richtung schaute. Da blieb nur noch das Rätsel übrig, ob sie von ihrem resignierten Freund oder vom übertoleranten Vater in die luftige Höhe gehalten wurde.

Die Krönung des Abends und wahren Helden des Festivals, die Band auf die alle Fans den ganzen Tag nur gewartet zu haben schienen, spielte darauf als Headliner groß auf: Die wiedervereinigten The Who bildeten den fulminanten Abschluss des Festivals. Jetzt regierte wieder das etwas ältere Publikum vor der Bühne, von denen so mancher vielleicht sogar 1969 dabei gewesen war, während die Kinder auf den Schultern ihrer Eltern allesamt verschwunden zu sein schienen. The Who konzentrierten sich vor allem auf ihre alten großen Hits in neuer Zusammenstellung und ein das Mikrofon am Kabel kreisen lassender Roger Daltrey präsentierte sich gutgelaunt. Während Pete Townshend etwas verschnupft zu sein schien, trug er doch zu Anfang eine bunte Mütze und sah dabei verbunden mit den großen Kopfhörern Mickey Mouse gar nicht mal so unähnlich. Nach ein paar Songs war er dann aber anscheinend aufgetaut und die Mütze verschwunden. Nun ist ja jeder Auftritt der neuen The Who Tour anschließend als DVD erhältlich. Dadurch bedingt liefen leider ein paar nervige Kameraleute des öfteren kreuz und quer über die Bühne und die ansonsten bei dem Festival sehr gute Soundabmischung wirkte etwas breiig. Aber was verzeiht nicht alles der ergebene Fan und muss begeistert feststellen: Ein gelungener Abschluss des Festivals!

Mit den Lovely Days ist ein neuer Stern am österreichischen Festivalhimmel aufgegangen, der angesichts der optimalen Bedingungen, der gigantischen Bandauswahl und der ganz besonderen Stimmung noch lange scheinen wird. Gespannt kann man sein, welche Helden im nächsten Jahr bei der Fortsetzung präsentiert werden, auf dass die Beat Generation für immer lebe.

Stefan Kuper

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