festivalwelt.de / Reportagen / Lovefield
2. Gang
Spießige Kleinbürgerschaft auf einem modrigen Acker
Ich wachte auf um...nun, das weiß ich auch nicht mehr genau. Aber immerhin wachte ich auf. Keines der Teelichter hatte Freundschaft mit der Zeltdecke geschlossen und ich lag verschmolzen mit dem Plastik völlig regungslos im Gras. Auch mein Geld, meine Kamera und etliche andere Sachen waren nicht wie von Zauberhand verschwunden und niemand hatte auf mich oder mein Zelt gepinkelt. Wenn dies alles nach dem Erwachen auf einem Festival nicht der Fall ist, kann man getrost entspannt durchatmen und Fortuna für ihre Barmherzigkeit danken. Ich denke aber, daß auf einem Elektro-Festival die Chancen, daß solche Dinge eintreten auch erheblich geringer sind als auf einer Rock-Veranstaltung. Liegt das daran, daß die Elektros zivilisierter sind als Rocker? Oder sind es vielleicht doch die Drogen, die eine weniger aggressive Wirkung haben als Bier und Sternburger? Ich weiß nicht... ich enthalte mich jedem Kommentar. Ich stehe zwischen zwei Stühlen... Apropos Stühle. Meine Kölner Nachbarn waren so engagiert und hatten sich mehr als gut eingerichtet. Neben ihrer ganzen Küche und aufblasbaren Nackenrollen waren auch noch Tisch, Stühle und ein Sonnenschirm im Auto. Diese Utensilien hievten wir nun gemeinsam aus dem Kofferraum und platzierten alles vor dem Zelt. Dort ließ man es sich nun gut gehen und ich versteckte mich feige unter'm Sonnenschirm... bedauerlicherweise bin ich doch braun geworden! Es war sehr schönes Wetter, die Sonne schien und es wehte ein laues Lüftchen. Alles schien perfekt zu sein, bis... nein, Scherz! Alles war perfekt!
Söhne Deichmann's, eine falsche Mieze im Sack und ein verstauchtes Bein
Eigentlich hatte ich mich an diesem Tag unter anderem sehr auf die Turntablerocker gefreut, aber nachdem Deichkind etwa eine Stunde lang nervten (Ich liebe Schuhverkäufer, ehrlich. El Bundy und so...aber nicht Deichk...) und wir feststellen mußten, daß die Punkte bei M.I.A. doch mehr waren als nur ein unglücklicher Druckfehler (für mich war es eine X-beliebige Techno-DJin, aber ich verstehe auch nichts von Techno), wurde bekannt gegeben, daß sich einer der beiden ein Bein verstaucht hätte und nun der Auftritt ausfiele. Also überbrückte ich die Zeit bis zum glorreichen Auftritt von Faithless mit Nonsense, Rubbish und anderem schwachsinnigen Zeug. Das Angebot war diesmal wieder genauso üppig wie schon auf dem Hurricane. Es gab eine riesige Pommes Frittes-Bar, einen Crèpes-Stand, eine Thai Food-Bude und einen indischen Stand, der ausschließlich nur vegetarische Produkte anbot. Und für Fast Food schmeckte das sogar erstaunlich gut, ich habe es selbst probiert. Die üblichen Button-, Kleider - und Plattenläden gab es auch wieder zu Hauf und wer genug Geld dabei hatte, konnte das hier sorgenfrei und ohne viel nachzudenken zum Fenster raus werfen und sich wohlmöglich komplett einkleiden... Mit Shuks, Camouflagehosen, Spongebob-T-Shirts und billigen Silberfake-Anhängern. Man kennt das ja. Alles ganz toll soweit, dort aber (verkratzte) CDs (mit verknicktem Cover) für 15 Euro zu entdecken und mich deutlich daran zu erinnern, das selbe Exemplar bei Saturn neu und verschweißt für 9,99 Euro gesehen zu haben, tut dann doch schon ein bißchen weh. Naja, ich hab's ja nicht gekauft. Und 10 Buttons für 7 Euro... naja, diesmal hat mich mein Verstand fast besiegt... (hihi)
Treue- und erbarmungslos gut
Was Faithless um 23.20 Uhr ihrem Publikum boten war weder atemberaubend noch war es besonders toll... es war fesselnd, kolossal und überüberüberdurchschnittlich phänomenal!!! Es macht aber keinen Sinn das hier zu beschreiben. Man muß es einfach gesehen haben. Maxi Jazz und seine treuen Gefährten gaben alles, um dieses mickrige Stück Land in einem kleinen Dorf nahe bei Bremen zum Beben zu bringen. Zumindest an diesem Abend war dies wohl das Mächtigste, was dem Zuschauer geboten wurde. Im Anschluss gab Karl Bartos, das Ex-Kraftwerk-Mitglied, ein kleines "Synthonie"-Konzert und begeisterte mit einer abgefahrenen Videoshow, knallharten Beats und wummernden Basslines ein zahlreich erschienenes (oder von Faithless einfach noch dagebliebenes) Publikum. Sehr schön fand ich, daß Bartos "Das Model" spielte. Klassiker wie "Tour de France" durften natürlich auch nicht fehlen. Karl Bartos war an diesem Abend das Schlusslicht auf der Love Stage und ohne Zugabe gingen dort pünktlich um 2 Uhr die Lichter aus und alles ging in andere Zelte oder sonst woauchimmer hin. Wer mochte, konnte in dieser Nacht noch Superpitcher, Tok Tok, Alexander Kowalski, Jazzanova, Raphael Marionnëau, DJ Ping, "Wird Noch Bekannt Gegeben", Dr. Berger und viele andere Artisten besichtigen. Ich mochte nicht.
Das Nullmann-Zelt
(...weil mehr nicht rein wollten)
Später warf ich noch einen Blick in das "Zigeunerzelt" und mußte mir das Lachen stark verkneifen. Ein einsamer Security in seiner orangenen Weste saß auf einem Baumstamm und in seinen Augen stand geschrieben: 'Bitte holt mich hier raus!'... Ein einsamer DJ legte vor, ja ich mußte aufpassen, damit ich mich nicht verzähle, exakt 0 Leuten auf und dachte dabei bestimmt an etwas Schöneres als in einem leeren Zelt zu spielen. Hinter ihm leuchtete und blinkte eine billige Lichterkette und irgendwie sagte mir dieses Blinken die ganze Zeit "Geh, geh geh!"... Nun, die ganze Zeit ist gut. Ich blieb etwa 35 Sekunden dort und setzte mich dann endlich wieder schutzlos dem schwarzen Nachthimmel aus. Als ich in Gedanken versunken die Wiese entlang schlenderte, kam ich an einem noch viel kleineren Zelt vorbei, in dem einige Leute auf Teppichböden saßen und Tee tranken. Alles sah da drin nach Meditation aus, aber dieser Gedanke wurde sofort wieder von den aus der Ferne wummernden Bässen zertrümmert. Hier wurde eben nur Tee getrunken, philosophiert und... Tee getrunken. Ein Schild bat den Besucher, sich vor dem Eintreten doch bitte die Schuhe auszuziehen. Ich war glaube ich zu faul und müde, um auf einem Bein zu stehen, und so ließ ich das "Hippie-Tent", wie ich es liebevoll zu nennen pflege - denn es wird im Festivalguide mit keinem Wort erwähnt - "Hippie-Tent" sein und ging "nach Hause". Ein entspannter Tag mit diesmal zwar wenig, aber dafür perfekter, bombastischer Musik. Na, darauf erstmal eine Schlafcola... Prost!
Weiterlesen!
Fabian Fascher
* Kommentare lesen/verfassen *
* E-Mail an den Autor * Eigenen Bericht schreiben * Zurück zur Auswahl *
|