4,3 m2 Glam-Rock
L. A. Jesus

Es ist doch immer wieder schön, wenn man bei einer Eröffnung eines Clubs oder Cafés dabei sein darf. Zehn Jahre später fährt man da dann zufällig vorbei und kann sagen, man sei damals dabei gewesen. Zugegebenerweise war ich selbst noch nie zuvor auf solch einer Eröffnungsfeier und lege ehrlich gesagt auch nicht den allergrößten Wert darauf. Doch wenn die Feier eine vielverheißende Band als Premieren Act geordert hat und das alles für Lau, dann tragen mich meine müden Beine ganz von allein zu diesem Schauplatz. Nun, eben an diesem Tag sollte das Lennox in Berlin eingeweiht werden, eine kleine Bar unmittelbar am berühmten Kottbusser Damm. Das Lennox wurde natürlich nicht ohne Grund nach dieser fast schon wieder vergessenen Dame benannt. Nein, wie sollte es anders sein, ist dieses Etablissement ein Glam-Rock-Café. Und damit das auch jeder sofort schon von außen erkennt, prangen am Eingang zwei kopfgroße Silhouetten von Annie Lennox‘ kurzhaarigem Kopf.

Als wir den kleinen Raum betraten, fiel sofort das Schlagzeug auf, welches unmittelbar neben der Tür in eine kleine Nische gequetscht worden war. Daneben standen zwei Mikrophonständer bereit und unter der Fensterbank stand ein kleiner Turm aus Verstärkern. Während ich mich noch fragte, ob das ernst gemeint oder einfach noch nicht fertig aufgebaut war, stand auch schon der Sänger und Gitarrist vor meiner Nase und ich bekam eine Promo-CD in die Hand gedrückt mit allerlei Autogrammen darauf (u.a. "L. A. Jesus loves you"... hach!). Der Sänger war optisch eine Mischung aus Dero (was aber wirklich nur auf's Aussehen beschränkt ist – zum Glück!) und einem kurzfrisierten Robert Smith, trug einen schwarzen, langen Matrixmantel und eine zerfranste, rote Federboa. Seine Stiefel waren mit Flammen bemalt und hatten metallbeschlagene Sohlen, wie man sie aus den klischeereichen Gothic-Läden kennt. Eine Viertelstunde später wußte ich, daß er schon auf X Bowie und auf X Iggy Pop-Konzerten war, daß er seit 15 Jahren in Deutschland lebt und vor einigen Jahren in einer anderen Band von Rodriguez Gonzales, dem Bassisten der Ärzte, produziert wurde. Ein interessanter Mensch also, dieser L. A. Jesus.

Die Musik war erstaunlich laut gedreht und alle schienen sehr ausgelassen und gespannt auf den anstehenden Act. Nach einer Zeit wurde Billy Idols "White Wedding" gespielt und, wer hätte das gedacht, die Anlage hatte lautstärketechnisch noch einiges mehr zu bieten. Nach diesem Lied stieg die Besitzerin - sichtlich schon ziemlich beschwippst - auf die Theke und hielt eine etwas schwer verständliche Rede von wegen wem alles zu danken sei und ohne wen diese Bar nicht möglich gewesen wäre und und und – wir kennen alle den Rest... Es wurden Tabletts mit Gratis-Sekt herumgereicht, welche im nächsten Moment in den Händen der Gäste landeten.

Nach dieser Rede folgte wieder ein wenig Musik aus der Dose und dann, das Stichlied: "Sweet Dreams" von, genau, den Eurythmics! Und, stimmt, in dieser Formation sang... Annie Lennox! Die Generation, die das nicht mehr weiß, war vermutlich im falschen Film oder gar nicht anwesend. Mitten im Lied wurden auf einmal die Instrumente ausgepackt, gestimmt und die Mikrophone eingestellt und mein unglaublicher Verdacht bestätigte sich: Diese Band wollte tatsächlich auf ca. 5 m2 Fläche ihr Konzert abhalten. Ein Blick auf das Schlagzeug sagte mir: "Unmöglich, dahinter zu kommen, geschweige denn dahinter zu spielen...", denn es war wirklich kein einziger Zentimeter Platz zwischen dem Right- und dem Crashbecken. Doch was man mit gutem Willen und in die Hände spucken nicht alles vollbringen kann: So stieg der Drummer ohne weitere Probleme an den Becken vorbei, als hätte er es den ganzen Tag über heimlich geübt. Die Band klimperte ein paar Akkorde zur Melodie daher, doch darauf hört eigentlich keiner. Nachdem das Lied ausgefadet wurde, stellte sich die Band als L. A. Jesus vor und begann ohne langes Zögern mit ihrem ersten Stück. Von 23:15 Uhr bis kurz nach zwölf wurden nun Lieder gespielt, die sehr in die Beine gingen und an gute, alte Idol-Bowie-Zeiten erinnerten.

Die Stimme von Herrn Jesus kam der von Billy Idol auch schon sehr nah. Streckenweise spielte nur der Bass und das Schlagzeug zusammen, immer wieder antwortete die Gitarre mit prolligen 80er Gitarrensolis, die verhießen, daß der Frontmann sein Handwerk wahrlich beherrschte. Da es ja so gesehen keine Bühne gab, stand die Band quasi neben den Zuschauern, was anfangs ein bißchen skurril erschien, mit der Zeit jedoch keinem mehr wirklich auffiel. Andauernd schwirrten den Musikern Handys und Kameras vor der Nase herum und penetrant helle Blitzlichter aus 20 Zentimeter Entfernung zerstörten ihnen vermutlich ihr restliches Augenlicht. Aufmerksame Konzertbesucher wissen bestimmt, daß der Hals von einem E-Bass ein ganzes Stück länger ist als der von jeder Gitarre. Doch in diesem Raum schienen dieses Wissen einige Leute nicht zu haben und so rannten jene dem Bassisten beim Vorbeiwollen des öfteren beinahe ins Instrument, was den gigoloartigen Pint Faschow, so hieß er, sichtlich nervte. Doch was will man auch verlangen, wenn man direkt im Durchgang spielt... Nach den ersten paar Stücken war das Bier der Musiker aufgebraucht, und weil Musiker ja grundsätzlich umsonst trinken, sollten es auch noch ein paar Jägermeister sein. "Jägermeister and Beck's rules!" hieß es lautstark von Seiten des Sängers und dann wurde ebenso lautstark weitermusiziert. Irgendwann riss der Gitarrengurt, doch L. A. Jesus ließ sich nicht beirren und bat jemand im Publikum sein Mikrophon tiefer zu stellen, damit er im Knien weiterspielen konnte. Etwa eine Stunde lang konnte sich ein jeder in diesem Raum an die Blütezeit der 80er erinnern und eine unglaubliche Glam-Rock-Revival-Fahne wehte vermischt mit dem Geruch von Alkohol durch die verrauchte Luft.

Um kurz nach zwölf wurde eine dreiviertelstündige Pause eingelegt, weitergetrunken und CDs verschenkt (man hätte sie natürlich auch verkaufen können, aber...). Mittlerweile hatten sich die Flusen von Jesus Federboa selbstständig gemacht und klebten ihm nun überall im Gesicht und am Hals, was auf den ersten Blick wie blutige Striemen aussah. Ein jeder kühlte sich entweder draußen ein bißchen ab oder bestellte das nächste Bier, und als dann so um eins das zweite Set anfing, war irgendwie die Luft aus dem Saal raus. Vielleicht lag es daran, daß die Leute nun genug hatten, vielleicht weil die Band alle Stücke von vorhin wiederholte und leider nichts Neues spielte. Wie auch immer, applaudiert wurde dennoch kräftig und dem Abend stand noch ein ungewisses, offenes Ende bevor.

Konzerte gehen überall - sogar auf'm Klo! Und dagegen ist eine Ecke neben dem Eingang doch fast schon wie der Broadway... Von L. A. Jesus wird man wohl bald mehr hören und dann kann ich behaupten, ich bin zwar nicht auf ihrem ersten, aber immerhin auf ihrem achten Gig in Berlin dabei gewesen...

Fabian Fascher

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