Seltsame Musik: Einstürzende Neubauten

Selten wurden so viele lauschende tanzende berauschte junge Menschen in eine Kirche erblickt wie am 24. und 25. Oktober 2004: In der Minoritenkirche zu Krems/Niederösterreich fanden im Rahmen des Kontraste/Seltsame Musik Festivals zwei Auftritte der Einstürzenden Neubauten statt. Dieses Festival präsentierte ein breites Spektrum experimentierfreudiger außergewöhnlicher Musikformen mit zum Teil kuriosen Klangwerkzeugen wie Feuerlöschern, Traktoren, Briefkästen etc.

Das Programm der Einstürzenden Neubauten bestand sowohl aus einem Streifzug ihres über 23-jährigen Musikschaffens – genannt sei beispielsweise die wunderschöne Ballade "Sabrina" – und Teilen der aktuellen Performance "Grundstück". Dabei handelt es sich um ein via Internet vermarktetes Projekt, bei dem die Fangemeinde interaktiv durch Vorschläge, Kommentare und Beiträge an der Entstehung beteiligt wird. Der Höhepunkt findet am 3. und 4. November in Berlin bei einem sogenannten Supporter Festival statt. Hier wird live die entgültige Fassung des Projektes unter Beteiligung des Publikums aufgenommen.

Die Minoritenkirche stellt einen idealen Veranstaltungsort für Musikveranstaltungen – besonders der "seltsamen" klanglichen Art – dar. Mitten in der verwinkelten Altstadt des Kremser Vorortes Stein gelegen bietet sie in akustischer Hinsicht einen wahren Ohrenschmaus. Selbst in den hintersten Ecken des altehrwürdigen Gewölbes von 1264 war ein ungestörter Musikgenuss möglich. Und Dank einer Projektion der Bühne auf die Frontseitenwände der Seitenschiffe der Kirche war auch das Geschehen jederzeit im Blickwinkel. Auch wenn sich die Künstler - abgesehen vom im Anzug auftretenden Frontmann Blixa Bargeld - teilweise etwas heruntergekommen präsentierten. Besonders stach ein Gitarrist durch ein enges Frauenleibchen gepaart mit starker Gesichts-, Brust- und Achselbehaarung und Goldkettchen ins Auge.

Das Konzert zeichnete sich in erster Linie durch die wunderbare Stimme des Sängers und den lockeren teilweise improvisierenden Stil des Auftrittes aus. Wurde vom Vortag noch von zickigen zum Teil überheblichem Gehabe Blixas berichtet – was sich vor allem in Beschimpfungen gegenüber mit Blitzlicht fotografierenden Fans äußerte – war an diesem Abend alles leger, ja fast familiär. Das Publikum gab sich bewundernd und still den Klängen der Glückseligkeit hin.

Den Höhepunkt stellte sicherlich der teilweise improvisierte mittlere Teil aus dem Projekt "Grundstück" dar. Hier wurde ein nachmittaglich ausgewählter Chor aus dem Publikum im hinteren Bereich der Bühne – dem ehemaligen Altarraum – zur Unterstützung der Band platziert. Begleitet von der unter anderem mittels Rohren, Blechplatten, Metallspiralen und ähnlichen Objekten erzeugten Musik ließen die Musiker teilweise kuriose, teilweise melodiöse stimmliche Klänge ertönen. Das Publikum setzte sich zum größten Teil aus nicht mehr ganz so jungen Zuhörern zusammen (ca. 25 bis 40 Jahre), was zum einen ein Zeichen für die Treue der Neubautenfans ist, zum anderen auf die Qualität des dargebotenen experimentellen Musikgenusses hinweist. Dabei wurden auf dem Parkplatz Kennzeichen aus ganz Österreich erblickt und sogar ein paar Deutsche tummelten sich in den Kirchengewölben. So floss bei zivilen Getränkepreisen reichlich Weihwasser an den beiden Bars. Geistliches, äh, Geistiges (Cuba Libre) war schon für 3,80 EUR erhältlich.

Leider war der Tontechniker auf ein derartiges kirchliches Klangraumwunder nicht hinreichend eingestellt, so dass die Lautstärke teilweise doch zu arg anschwellte. Auf dem Kirchhofsplatz konnte dann auch das durch den Bass hervorgerufene Klirren der Fensterscheiben der Nachbarhäuser bestaunt werden!

Das war aber auch der einzige Wehrmutstropfen an einem ansonsten wunderbaren Abend mit einem musikalischen Hochgenuss der außergewöhnlichen Art.

Stefan Kuper

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