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Afrika und die gestohlene Gitarre
Kam:As, Delbo und Macintosh
Am Brandenburger Tor feierte Berlin zu 120.000en lautstark und besessen für eine bessere dritte Welt (...) und starrte wie von Sinnen auf die große Leinwand, die das Geschehen in anderen Ländern zeigte, in denen beispielsweise ein Will Smith durch das Programm führte, welches u.a. aus Björk, Coldplay und anderen bewundernswerten Grazien bestand. Und während sich Deutschland mit einem teilweise eher fragwürdigen Line up (Juli, Silbermond, Wir Sind Helden, um nur einige zu nennen) und einem ziemlich dämlichen Moderator zufrieden gab, rückte für zwei Personen in dieser Masse eine weitere Benefizveranstaltung unvermeidlich immer näher: Für meine Kollegin Julia und meinen Freund Hannes. Als es dann gegen 20.30 Uhr Zeit war, Abschied zu nehmen vom bunten Treiben des Massenauflaufs, verpaßte man wider Willens Roxy Music, um ja nicht zu spät zu kommen, und fand sich dann wenig später an der Frankfurter Allee in Friedrichshain ein. Die "Benefizveranstaltung", um die es sich hier drehte, war, zugegeben, sehr eigennützig und im Vergleich am Tag der Weltveranstaltung "Rettet Afrika" vielleicht sogar etwas zynisch, jedoch nicht weniger angebracht. Um es kurz zu machen: (Da)N, dem Sänger von Kam:As wurde die Gitarre gestohlen. Und zwar im Jugendklub Linse, einem heimlichen Stützpunkt der Sinnbus-Records-Members (in dem auch Bands wie Delbo und Torchous ihre ersten Gehversuche taten). Was nun tun, fragte man sich, und so beschloß man, eine Veranstaltung im kleinen Rahmen zu organisieren durch dessen Eintrittsgeld (von 5 Euro) die Unkosten der brandneuen Fender-Gitarre gedeckt wurden - eine tolle Idee! Etwas eigennützig, wie gesagt, aber warum eigentlich nicht?! Und zu bieten hatte diese Veranstaltung ja auch etwas Gutes, nämlich ein Line up von drei Bands: Kam:As, Delbo und Macintosh.
Die Linse war ein verborgenes, campartiges Gelände, welches nicht so ganz leicht zu finden war. Jedoch nach einigen Anlaufversuchen entdeckten wir auf einmal den vermeintlichen Eingang. In der Linse war noch nicht allzuviel los, eine Handvoll Gäste tummelte sich an der Bar, an der preisgünstig Flüssigkeit für trockene Kehlen verkauft wurde, auf den abgewetzten 70er Jahre-Sofa-Couches oder auf der Terrasse vor einem Grill, der Würstchen und Camembert auf Brot bereit hielt. Ein kleiner Merchandise-Tisch bot aktuell erschienende Alben der Sinnbus-Künstler und Buttons an und ein DJ spielte ein wenig Hintergrundmusik.
Auch ein Apple stürzt mal ab...
Die erste Band an diesem Abend hatte einen viel versprechenden Namen. Denn enttäuscht uns ein Rechner aus dem Hause Apple doch nur selten. Jedoch verhielt es sich mit dieser Schülerband namens Macintosh, die angeblich sehr Tocotronic-lastig sein sollten, ein wenig anders. Sie waren nicht schlecht, nein, das nicht, jedoch waren sie eben eine Schülerband und das konnten sie leider nicht ganz verbergen. Sehr schüchtern und nicht gerade selbstsicher stolperten sie auf die kleine Mini-Bühne und begannen ihr Konzert. Ob es nun an der Einstellung der Gesangsanlage oder einfach an der Stimme des Sängers lag, vermag ich nicht zu beurteilen, aber Fakt ist: Vom Gesang verstand ich nichts und nach einiger Zeit wollte ich es auch gar nicht mehr ausprobieren etwas zu verstehen, da es mir eh nicht gelang. Eine sympathisch verstimmte Gitarre trug Macintosh immer weiter von dem Vergleich mit Tocotronic weg und machte Hoffnung auf ein gutes, krankes Set, doch der biedere Gesang der etwas seltsamen deutschen Texte trieb wiederum mich von einem voreiligen Lob weg. Einige Lieder hatten sehr schöne Höhepunkte, andere hatten gar keine, manche Phrasen zündeten Ideen an, folgende löschten sie erbarmungslos wieder aus. Ich muß dazu jedoch anmerken, daß ich einer der wenigen mit dieser Einstellung war, denn Macintosh wurden nicht schlecht beklatscht und der eine oder die andere tanzte sogar ein bißchen mit.
Mit Tocotronic (die ich im übrigen nicht ausstehen kann) hatte die Musik jedoch wenig zu tun. Vielleicht ist das ein kleiner Trost. Wollen wir mal sehen, was Macintosh in einigen Jahren mit einer entwickelten Stimme und einer ausgefeilteren Spielart so treiben. Potential war auf diesem Gig jedenfalls da.
"Wer dagegen sieht schon gerne, wenn in seinem Bauch gelacht wird"...
Die nächste Attraktion auf dem Plan waren Delbo. Diese Formation aus dem Sinnbus-Chef Daniel und seinem Gefolge ist ja nicht mehr so unbekannt und mit drei Alben und einer 7 Inch haben sie sich einen mehr oder weniger größeren Namen in Berlin und Umgebung verdient. Der Auftritt an diesem Abend sollte sehr lautstark, poetisch und anstrengend werden. Vor der Bühne hatten sie beachtlich mehr Leute eingefunden, um ihre ganz persönlichen Helden zu feiern. Während des Soundchecks moderierte der Sänger und Bassist mit der markanten "Curse-Brille" das Publikum und den Tonmaster im lockeren Berliner Stil eine gute Viertelstunde und gab den Leuten Tips, wie u.a. die Stimme generell immer auf Kanal 12 zu legen, bis ihm der Gitarrist ein unverkennbares Zeichen gab, doch nun bitte die Klappe zu halten. Mit einer wummernden Bassline fing alles an und drauf auf baute sich ein Gitarren- und Schlagzeuggeschwader sondergleichen. Besonders die Snare war ohrenbetäubend knallend eingestellt und bohrte sich präzise durch den restlichen Sound hindurch. Der Gesang ging im ganzen Getobe der restlichen Instrumente ein wenig unter, da er sehr ruhig und mäßig war. Das machte das Verstehen der eigentlich recht interessanten Texte ein bißchen schwierig, doch wenn man sich konzentrierte, verstand man Wortfetzen wie sie in der Unterüberschrift zu lesen sind. Texte, bis ins Unnachvollziehbare umgeschrieben, wurden einem tobenden Publikum zum Fraß vorgeworfen. Steigerungen, die zu explodieren drohten, trugen die Leute in Sphären, aus denen sie nicht mehr heraus wollten, und als dann schlagartig alles vorbei war, wurden auf großer Nachfrage hin noch zwei Zugaben gespielt und alle waren sichtbar ausgelastet zufrieden und unübersehbar bestens aufgewärmt für den Auftritt der Hochgelobten Kam:As.
Billiger Fusel vs. Begehrenswerte Fender
Sie waren nicht nur hochgelobt worden, sondern sollten ihrem Ruf und ihrem Schwärmen auch in nichts nachstehen. Und als sich jeder ein neues Bier oder eine Bratwurst geordert hatte, sollte der letzte Act und mein persönlicher Favorit an diesem Abend das hervorgehobene Stück Boden betreten. Nach peniblen Stimmen und "Kanalsuche" (wie wir ja nun wissen: Kanal 12...) surrte der Gitarrist und Sänger N mit seiner brandneuen, grünen Fender das Solo vom letzten Stück "Stairwalk" des aktuellen Albums durch die stehende Luft. Das Intro des Liedes wurde wahnsinnig in die Länge gezogen, bis der Rest der Band seinen Einsatz machte, und nachdem das Thema des Songs ausreichend praktiziert und strapaziert worden war, begannen die etwas lauteren Stücke ihres Repertoires. Kranke, unnatürlich lange Gitarrenparts, die von der Spielweise nicht zuletzt ein bißchen an Sonic Youth erinnerten, schritten Hand in Hand mit lieblichen, atmosphärischen Klangorgien daher. Das überschaubare Publikum wurde in absolute Trance oder Rage versetzt und vor allem die ersten Reihen ließen sich nicht davon abhalten wild herumzutanzen und den spärlichen Platz in eine Mini-Pog-Zone zu verwandeln. Einer trieb es sogar soweit, daß er sein Bier verschüttete und damit dann wie mit einem Wasserschlauch auf die Band zielte. Es gab zwar keine Verletzten, jedoch wurde die neue Gitarre Ns schwer besudelt. Anstatt erbost darauf zu reagieren, bat man mit einer lockeren Handbewegung lediglich darum, auch einen Schluck von dem besudelnden Gebräu zu bekommen (man kannte sich vermutlich...). Der Auftritt von Kam:As zog sich ziemlich lange hin und als das letzte Lied wehleidig und müßig ausklang, machte sich bereits der DJ des heutigen Abend daran, seine Instrumente hochzufahren und ein Stück aufzulegen, was mir bis heute nicht aus dem Kopf geht, dessen Titel mir nun aber nicht mehr einfallen will. Doch nicht mit dem Publikum! Und so musste die iPod-Musik weichen und die Band gab eine dreiliedrige Zugabe vom Feinsten und achteten scheinbar nicht im Geringsten auf die übertretene Zeit...
Kam:As haben mich an diesem Abend sehr überzeugt und sie sind auf der Bühne noch vielseitiger als auf ihren beiden Alben. Erst live entfaltet ihre Musik etwas, was man auf einem Tonträger vergeblich suchen wird: Leben.
Fabian Fascher
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