Die Ästhetik des Klebebands

Die Arena, eines von womöglich vielen ehemaligen Schlachthäusern von Wien, diente vorige Woche als Kulisse für einen Auftritt der britischen Band IAMX. Was sich so ähnlich wie Cineplexx anhört, ist in Wirklichkeit ein Einmannunternehmen namens Chris Corner formerly known als Frontman der vielleicht berühmteren Formation Sneaker Pimps. Was den Rest betrifft, so handelte es sich um professionelle austauschbare Musiker, die inkognito den Meister links und rechts beziehungsweise dahinter umgaben und im Sinne einer Gemeinschaftsproduktion assistierten.

Doch bevor sich der Meister himself die Ehre gab, vor seine Audienz zu treten, bevölkerten Wedekind, eine Alternative-Formation aus Österreich rund um Rainer Prokop die Bühne. In spärliches Licht getaucht, mit bescheidener bis stiller Bühnenshow, gab das Trio einen Einblick in ihr musikalisches Schaffen. Man lauschte ruhigen bis fließenden Synthie-Pop-Arrangements, wobei Prokops Stimme von nicht unattraktiver Melancholie durchdrungen war. Und auf leisen Sohlen, wie sie ins Zentrum dieses Abends schlichen, so leise verschwanden sie auch wieder, nach Ende des letzten Akkords, mit den Worten: "Vielen Dank!"

Bereits zum zweiten Mal in acht Monaten besuchte Chris Corner nun die Donaumetropole, um das Publikum mit seinem ein wenig futuristischen, doch noch immer von Britpop geprägten Sound zu verwöhnen. Von seinen vielen Fans waren ca. achthundert gekommen, um die visuelle Umsetzung seines ersten Soloalbums von 2004 sowie seiner neuen Single "Your Joy Is My Low" zu verfolgen. Ungefähr eine halbe Stunde vor Ankündigung versammelten sich die Hardcore-Fans schon in den ersten Reihen vor der Bühne, mitten darin die Rezensentin, die sich plötzlich von lauter coolen Typen umgeben fand; sowohl männlich als auch weiblich, ausgestattet mit hautengen Klamotten und schicken Sonnenbrillen, die wohl auch vor UV-Strahlung der Scheinwerfer schützen. Glamourös und kosmopolitisch, wo man ansonsten nur lange Haare, Bierbauch samt Fahne anzutreffen gewohnt ist.

Der Applaus war gewaltig, als sich dann mit üblicher Künstlerverspätung die Stars des Abends (man muss sagen der Star) ansagte. Vorerst nur ein Schatten seiner selbst, später in voller Montur. Von zartem Körperbau, mit scheinbar geschminktem Gesicht, eingeengt von einem schwarzen Lederteil (das halsabwärts komplett verschlossen war), begann er sofort das Mikro zu liebkosen und zu singen. Eine schöne Stimme war das, die sich da in der Halle ausbreitete; voll von Erfahrung mit dem typischen Hang zum Abgrund, der uns sagen will: "Ich habe in die Hölle gesehen, ich habe sie überlebt." Die Spuren des exzessiven Lebens werden vom sich wechselnden Farbenspiel der Scheinwerfer weichgezeichnet. Die Körpersprache pendelt zwischen aggressiv und emotional. Eine E-Gitarre hängt bei Bedarf lässig um die Schultern. Seine Kollegen agieren als Statisten, eine in blutroter Abendgarderobe und platinblondem Haar, einhämmernd auf ein unschuldiges Keyboard; der andere in Schuluniform und leicht umnachtet, monoton den Bass spielend. Der dritte, als Drummer erkennbar, bleibt fast unsichtbar.

Musikalisch gesehen war der Abend absolut atemberaubend. Wie eine Steigerung von Massive Attack mit einem Hauch von Melancholie präsentierte sich die Band, melodische Variationen vereinigten sich mit Corners Stimme zu einer elektronischen Symbiose, die das Publikum in Trance zu versetzen schien. Die Stimmung schien am Höhepunkt, als die ersten Takte von der Hitsingle "Missile" angespielt wurden, die sich im weiterem Verlauf unterstützt durch eine textliche Leinwandprojektion zur Karaokeshow verwandelte. Feuerzeuge wurden entfacht, die Lady in Red schwenkte das Mikro über den Köpfen des Publikums, welches artig ebendiese hob und den Refrain "Think You're Giving But You're Taking My Life Away" zum Besten gaben. Auch der neue Song "Your Joy Is My Low" erfreute sich außerordentlicher Beliebtheit. Im Gesamtkontext gesehen, war der Abend ein voller Erfolg, geprägt vom musikalischen Einfallsreichtum Corners, der mit wenigen Mitteln das Maximum an schöpferischer Vision zu verwirklichen im Stande war. Auch was die Künstlerexistenz stets beflügelt, kam an diesem Abend nicht zu kurz: die klassische Flasche Rotwein. Gar nicht geizig wurde sie später an die Fans der ersten Reihen weitergereicht.

Bleibt noch ein Geheimnis zurück. Das schwarze Klebeband, mit dem sich Corner scheinbar wahllos eingewickelt hat. Von der Schulter über die Brust hin zu einem Arm und einem Handgelenk. Mode, Jux oder Spinnerei? Man weiß es nicht, man müsste ihn fragen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Michaela Drescher

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