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Sand versus Orkan
Das 10-jährige Jubiläum des Hurricane Festivals feierten 50.000 Besucher auf dem wieder einmal seit Wochen ausverkauften Eichenring. Es sollten uns nicht nur so bekannte internationale Showgrößen wie die Hives, Manu Chao, Live, Mando Diao und deutschsprachige wie Tomte, Fettes Brot oder Wir sind Helden erwarten. Wie es beim Hurricane bereits Tradition ist, befindet sich der ein oder andere Geheimtipp im Line-Up. Dabei beweisen die Organisatoren stets ein gutes Händchen und von Bands à la Arctic Monkeys, Gnarls Barkley oder The Coople Temple Clause wird man in der Zukunft bestimmt noch einiges mehr zu hören bekommen. Abgerundet wurde das Programm in diesem Jahr durch eine lokale Bands aus der Gegend um Rotenburg, die sich erstmals auf einer so großen Bühne präsentieren durfte – sehr zum Stolz der Anwohner. Ach ja, und dann gab es auch noch die Konkurrenz durch König Fußball, der so manchen Fan das ein ums andere Mal eher zur Live-Übertragung auf dem Campingplatz als aufs Gelände selber zog.
1. Tag: Von britischen Übernewcomern und deutschen Helden
Das Wetter im diesjährigen Jubiläumsjahr war bis auf den Abschluss – aber dazu später – geradezu festivalideal: Heiße Sonnenstrahlen erwärmten die Gemüter anstatt des sonst beim Hurricane eher obligatorischen Regenwetters. Einzig der allgegenwärtige Staub, der sich angefacht durch die nordische Brise nun wirklich angefangen mit den Behausungen bis hin zu den Haaren und zwischen den Zähnen überall hartnäckigst festsetzte, störte ein wenig und musste durch vermehrte Flüssigkeitsaufnahme kompensiert werden. Aber irgendwie gehört so etwas neben der Musik ja zu jedem guten Rockfestival dazu! Genauso wie der übliche Anreisestau, schließlich ist es ja auch nicht so einfach, eine solche Menschenmasse einigermaßen geordnet in der ansonsten doch eher idyllischen Gegend unterzubringen. Wobei dieser beim Hurricane eigentlich meistens ziemlich zivil ausfällt und eher einer großen Warm-Up Party gleicht.
Auch sonst zeigte sich das diesjährige Festival gut organisiert. War es im letzten Jahr mit 60.000 Besuchern doch etwas arg voll, bewirkte die Begrenzung um 10.000 wahre Wunder. Die Stimmung war wesentlich relaxter, die Wege um einiges kürzer, die diversen Wartezeiten nicht mehr allzu lange und auch Toiletten waren ausreichend vorhanden und für Festivalverhältnisse erstaunlich sauber. Dazu noch die neue Geländeaufteilung des Eichenrings mit zwei nebeneinander platzierten Bühnen: Wirklich gelungen und auch die Soundüberschneidungen hielten sich in Grenzen, auch wenn man sich in der Mitte befindend in das außergewöhnliche Erlebnis erfahren durfte, beispielsweise Fettes Brot auf dem linken und die Arctic Monkeys auf dem rechten Ohr zu bewundern.
Womit wir gleich bei den Newcomern aus Sheffield wären. Ein schier unglaubliches Gedränge des in diesem Jahr doch vergleichsweise wesentlich jüngeren Publikums hatte sich vor der Bühne gebildet, als die vier mit dem großartig aufspielenden neuen Bassisten Nick O'Malley ihren frechen Indie-Rock in die laue Abendluft preschten. Die Arctic Monkeys sind sicherlich die Band der Stunde mit ihrem kometenhaften Aufstieg, durch zunächst ausschließlich im Internet vertriebene Songs. So waren wir umso gespannter, wie sich das Quartett live präsentieren würde. Die Jungs von der Insel sahen auch noch etwas grünschnäbelig aus, performten aber eine gute rockige Show.
Danach kam mit Fettes Brot, Tomte und Klee der deutschsprachige Teil des Abends. Während die rappenden Nordländer mit ihren alten Hits und souligeren Nummern die grüne Fraktion beschallte (noch von ihren Vorgängern Seeed hielten sich eine Menge dieser vor der Hauptbühne auf), war es auf der blauen Bühne bei Tomte etwas kuscheliger. Die verträumt melancholische Stimmung der Songs von Tomtes neuer Platte kam gut an. Schade war nur, dass Thees Uhlmanns lockere anekdotenartige Ansagen der Stücke etwas im Sound von der Green Stage untergingen. Dennoch wieder einmal ein großartiges traurigsüßes Konzert, das direkt durch die Seelen floss.
Nun muss ich aber zwischendurch meiner Begeisterung von der Wiederbelebung einer Hurricane Institution Ausdruck verleihen: Die Zeltbühne, Red Stage genannt. Hier gibt es wahre Clubatmosphäre inmitten eines Megaevents zu erleben. Immer dunkel, heiß und extrem stickig gilt es hier den besonders lauten Sound der Bands zu feiern. Bei Regen ist es dann noch mal doppelt so voll, aber den gab es ja dieses Jahr (fast) nicht. Leider führt der Weg zu diesem Kleinod des Festivals nur hinter der Menschentraube vor der grünen Zone vorbei, so dass wir diesen Marsch aus Zeitmangel nur selten antraten. Aber wer vornehmlich zwischen Hauptbühne und Zelt hin- und herpendelte, hatte es dafür um so kürzer.
Unser erster Besuch galt den Kölnern Klee, deren Pop uns durch die Glieder ging. Besonders Sängerin Suzie Kerstgens drehte richtig auf und tanzte – die blonde Mähne durch die Luft wirbelnd – über die Bühne. So war es auch kein Wunder, dass der angrenzend konkurrierend auftretende Manu Chao das Zeltpublikum keineswegs zum Abwandern animieren konnte. Auch wenn das Idol aller Backpacker mit einem bunten Mix aus Reggae, Rap und Ska zu glänzen wusste. Als er dann zusammen mit seinem Radio Bemba Soundsystem berühmte Hits auf seine eigene Art interpretierte, wurde bis in die hintersten Reihen getanzt, geraucht und gepogt.
2. Tag: Deutschland – Nada Surf 2:0
Ein Festival ist keine Modemesse. Besonders wenn sich nach der ersten Nacht im Zelt und der ansteigenden Mittagshitze erste Ausfallerscheinungen bemerkbar machten. So verzichteten zahlreiche Besucher bereits auf jegliches Schuhwerk – gut dass es ein striktes Glasverbot gab! Einziges stylisches Element sollten die vor allem beim weiblichen Publikum beliebten fenstergroßen 60er Sonnenbrillen sein. Ob diese nun als Schutz gegen die gleißende Sonne oder gegen den nicht allzu schönen Anblick manches Besuchers dienen sollten, mag dahingestellt bleiben. Als dann dazu noch die Fußballweltmeisterschaft ein Achtelfinale Deutschland gegen Schweden zu bieten hatte, fühlte man sich eher auf einer der überall in Deutschlands Städten platzierten Fanmeilen versetzt denn auf einem Rockfestival befindlich. Es ist kein Wunder, wenn nicht nur zahlreiche Trikots getragen wurden – auch auf allen nur denkbaren Körperteilen prangerte ein fanatisches Schwarz-Rot-Gold. Schade nur, dass selbst auf einem Musik(!)-Festival der Sinn der Veranstaltung, nämlich die Auftritte der Bands zu feiern, unter dieser Manie leiden musste.
Aber zunächst war die Welt noch in Ordnung, als mit Everlaunch eine Rotenburger Band erstmals die Luft einer großen Festivalbühne schnuppern durfte. Man merkte den Musikern ihre Nervosität zwar an, als sie plötzlich einem riesigen Publikum gegenüberstanden, dennoch lieferten sie einen guten Sound, auch wenn die Show (noch) etwas hölzern wirkte. Ganz anders performten die noch jüngeren Künstler von The Kooks, deren überraschend trashiger Britpop so gar nicht zu den eher braven Gesichtern zu passen schien.
Von nun an übernahm König Fußball das Zepter. Nachdem die Public Viewing Area auf dem Campingplatz mit 20.000 statt der angedachten 10.000 Fans hoffnungslos überfüllt war, wurden aus Sicherheitsgründen Nada Surf kurzerhand aus dem Programm gekickt und die Blue Stage zur zweiten Fußballarena umfunktioniert. Na ja, zumindest fast, denn immerhin in der Halbzeitpause durften die New Yorker Alternative Rocker ein Kurzprogramm absolvieren. Auch verzweifelte Zugaberufe der doch zahlreich vorhandenen Musikfans halfen nicht. Was umso tragischer war, da Fußballdeutschland bereits ohnehin nach 12 Minuten von Prinz Poldi quasi uneinholbar in Führung gebracht worden war. Auch das im grünen Bereich spielende neue Projekt von Jack White und Brendan Benson – The Raconteurs – und die anschließend aufspielenden Hard-Fi litten unter erheblichem Zuschauermangel. Da fragt man sich wirklich, warum die Zuschauer den Eintritt bezahlt haben und nicht lieber kostenlos auf ihrer Couch zuhause im Wohnzimmer gefeiert haben. Aber im Moment scheint wohl das ganze Land verrückt zu spielen, nur schade um die Musik ist es eben schon.
War es bei den vorherigen Bands ziemlich leer vor den Bühnen, so strömten jetzt im Siegestaumel Tausende von Fans auf den Eichenring, um sich wieder dem eigentlichen Sinn der Veranstaltung zuzuwenden. Pikanterweise spielten mit Mando Diao und den Hives gleich zwei schwedische Bands nacheinander auf der grünen Bühne. Nicht auszudenken, wie das Publikum diesen entgegengetreten wären, wenn Schweden Deutschland aus der WM geworfen hätte. So konnte man sich aber großzügig zeigen und zahlreiche tröstende Schwedenflaggen wehten über den Köpfen. Auch die Bands schienen weniger fußballinteressiert zu sein, konnte doch eine große Rockparty bei Mando Diao und eine wunderbar selbstverliebte Performance der Hives genossen werden. Gut war außerdem, dass die direkt nach der Fußballübertragung auf der Blue Stage performenden Death Cab For Cutie mit sehnsüchtigen Rockballaden die Gemüter beruhigten.
Der etwas leisere Adam Green lockte vor allem weibliches Publikum an, das diesen wohl auch gern leicht bekleideter bewundert hätte. Danach erfreuten die schon etwas betagteren Herren von Element Of Crime das begeisterte Publikum. Mit "Straßenbahn des Todes" wurde gleich zu Begin das neuste Werk präsentiert und auch danach ging es untermahlt durch grüne und blaue edle Visuals mit den großen Hits der Band weiter, die sicherlich auch schon die Eltern des jüngeren Teils der versammelten Fans an düsteren Abenden begeistert haben.
Als Hauptakt des Abends spielten sodann die New Yorker Strokes ein eher enttäuschend frustriertes Konzert, dessen einziger Höhepunkt im Zertrümmern einer Kamera durch Frontmann Julian Casablancas mittels Mikrofonständer bildete. Da gefiel die mystische Verführung von Sigur Rós zu nächtlicher Stunde wesentlich besser. Nachdem der erste Song noch hinter einem durchsichtigen Vorhang präsentiert wurde, so dass die Künstler nur schemenhaft durch das von hinten strahlende Licht erkennbar waren, verzauberten vor allem die ungewöhnlichen Klänge des mit einem Streicherbogen bespielten Basses und schienen uns direkt durch die Luft in unsere Schlafstätten schweben.
3. Tag: Hurricane, zu Deutsch Orkan
Der dritte Tag begann vor allem heiß – unerwartet warm mit Temperaturen jenseits der 30 Grad zeigte sich der Wettergott fast unbarmherzig. Zumal die Hitze in den Zelten fast die mitgebrachten Gaskocher überflüssig machten. Die Wärme verbunden mit dem teilweise doch etwas zu heftigen Alkoholgenusses ob des gestrigen Sieges drückte dann doch zunächst etwas auf die Gemüter der müden Helden, so dass der gewohnt rockige Auftritt von dEUS vor eher leeren Rängen stattfand. Auch die Eagles of Death Metal hatten eher ein kleineres Publikum, als sie aussehend wie die perfekte Village People Reinkarnation featuring Slash schunkeligen Rock spielten. Die Gitarre wurde dabei das ein ums andere Mal als Phallussymbol umfunktioniert. Dass es auch auf die Größe ankommt, bewiesen gleich danach die spieltechnisch versierten Mad Caddies, die unter anderem mit einer Trompete und einer Posaune ausgerüstet waren. Auch wenn dieses Ska Gedudel nicht meine persönliche Lieblingsmusikrichtung darstellt.
Einen visuellen Augenschmaus für die weiblichen Fans bot die Show von Billy Talent. Umso neidischer waren die Blicke, als sich Sänger Benjamin Kowalewicz mit einer Wasserladung über den Kopf abzukühlen versuchte – um gleich darauf sein T-Shirt wegzuwerfen und fortan oben ohne zu performen. Die Kanadier sind gegen solche Temperaturen anscheinend auch nicht resistent. Zum Glück kam das Publikum ebenfalls in den Genuss einer nassen Erfrischung in Form von mit Feuerwehrschläuchen in die Menge gespritztem Wasser. Das war auch gut so, galt es doch bald den beschaulicheren melodiösen Klängen der Cardigans zu lauschen, die wie immer wunderschön durch Nina Perssons Organ zum Ausdruck gebracht wurden. Schnell war die akustische Erholung vorbei, stand schließlich die rockige Show von Live auf dem Programm. Sänger Ed Kowalczyk brachte wie üblich die Massen zum Beben und steigerte den Wasserverbrauch wie die Notwendigkeit der Sanitäter.
Dass doch noch nicht alle Energie aus den geschundenen Festivalbesucherkörpern gewichen war, konnte man derweil auf der Blue Stage beim Auftritt der Punkrocker Lagwagon miterleben. Auch wenn das Crowdsurfverbot bis auf bei einzelnen Unverbesserlichen eingehalten wurde, kam das wilde Gepoge nicht zu kurz und man musste schon aufpassen, wie weit man sich nach vorne in die Gefahrenzone vorwagte. Ein kurzer Abstecher zwischendurch ins Zelt zu The Cooper Temple Clause brachte unsere punkrockige Seite zum überkochen. Apocalyptica dreschten darauf dermaßen mit ihrer virtuose Mixtur aus Metal und Celli auf die freierwütige Publikum ein, dass kein Kopf ruhig auf den Schultern blieb. Bevor dann Wir Sind Helden auf der Grünen Bühne die Masse der kreischenden Teenies in ihren Bannkreis zogen. Vor der Green Stage ging ob des Andrangs all der mitschwenkenden Arme und wirklich jedes Lied enthusiastisch mitsingenden Kehlen gar nichts mehr. Selbst das gesamte am Eichenring anwesende weibliche Polizeipersonal schien hier versammelt, um zu der Stimme der die Schwangerschaft durch ein weit wehendes Top geschickt tarnenden Judith Holofernes die berühmten Hits der Band zu feiern.
Anschließend trieb es uns zur friedhofsartig dekorierten Blue Stage, auf der Within Temptation ihren Hexentanz hinter einer Wand aus eisblauem Licht und Feuersäulen zu vollführen gedachten. Lag es nun an den Sharons Beschwörungskünsten? Aber irgendwie kann das kein Zufall sein! Und als helle Blitze unser Augenmerk gen Himmel auf die herannahende schwarze Gewitterfront leiteten und dazu noch die Großbildschirme neben der Bühne heruntergelassen wurden, konnte man das herannahende Unheil eigentlich bereits absehen, wäre man doch nicht allzu sehr von der genialen Bühnenshow und der Vorfreude auf Muse abgelenkt gewesen.
So kam es wie es kommen musste: Der hereinbrechende Orkan der Windstärke 11 machte dem Hurricane alle Ehre und zwang leider zum frühzeitigen Abbruch des Festivals. Auch auf dem Zeltplatz ging nichts mehr. Überall herumfliegende Pavillons und im Wasser versinkende Zelte. Auf den Parkplätzen war ebenfalls aufgrund des abgesoffenen Bodens Stillstand, bis hilfsbereite aber nicht minder geschäftstüchtige Bauern aus der Umgebung mit ihren monstertruckähnlichen Traktoren zur Hilfe eilten. Allerdings ging die Stimmung bei dem ganzen Desaster keineswegs völlig unter. Einige machten die Not noch zu einer Tugend: Während das große Discozelt als Notunterkunft für all die Gestrandeten umfunktioniert wurde, wälzten sich einige Unerschütterbare in Boxershorts in den scheinbar metertiefen kleinen Seen und besangen lautstark den Sturm.
Irgendwie sind wir dann alle doch noch wieder heim gekommen und denken nach Überwindung all der Strapazen mit Wehmut an die wunderbaren Festivalerlebnisse zurück: Geliebtes Hurricane, möge unsere Freundschaft auch noch weitere 10 Jahre währen!
Stefan Kuper
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