A View to a Kill

Sieben lange Jahre war der Salzburgring das Mekka der Musikszene, wenn es galt, zum Ende der Saison das jährlich auf neue Art und Weise spannende Frequency Festival zu feiern. Alljährlich waren die grünen Hügel überzogen mit Zeltstädten, während sich der schier endlose Strom an Besuchern über die schmalen Wege zur Musikarena umfunktionierten Rennstrecke goss. Doch in diesem Jahr soll alles anders und hoffentlich noch ein bisschen besser werden.

Das Frequency ist von Salzburg ins niederösterreichische St. Pölten umgezogen. Das Gelände wurde bisher vom Nuke Festival in Beschlag genommen, welches nach Wiesen übergesiedelt ist. Ein perfektes Gelände möchte man meinen, so gibt es doch feste Böden vor den Bühnen und einen wunderbaren Campingplatz längs der Traisen. Unklar ist nur: Wird ein derartig groszlig;es Festival überhaupt in St. Pölten hineinpassen? Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob sich die feierwütigen Fans in der Abgelegenheit austoben oder ob dieses am Rande einer Landeshauptstadt stattfindet. Zum Glück verlaufen die drei Tage Wahnsinn aber einigermaszlig;en ruhig und entspannt, so dass von dieser Seite her, einer Wiederholung nichts im Wege steht.

Natürlich ist das Festivalgelände im Vergleich zum Nuke um einiges erweitert worden. Neben der Hauptbühne ist hinter dem angrenzenden Sportplatz die Green Stage aufgebaut worden, so dass eine ideale Kombination aus kurzen Laufwegen und doch genügend Abstand zwecks Vermeidung von Soundüberschneidungen gefunden wurde. Die Weekender UK Stage und die Open Stage finden in den beiden Hallen des VAZ direkt neben der Hauptbühne ebenfalls einen angenehm nahen Ort. Um dem Ganzen noch einen Punkt drauf zu setzen, gibt es für alle Nachtschwärmer noch einen per Shuttlebus angebundenen Nightpark mit drei Floors, der einen guten Kilometer entfernt eingerichtet wird. So kann bei genügend Kräften eine Drei-Tage-Nonstop-Party durchgefeiert werden.

Dass das Frequency über eine eingeschworene Fangemeinde verfügt, sollte jedem auf den ersten Blick klar sein. Kein Wunder also, dass das Festival auch am neuen Standort restlos ausverkauft ist. Gut 40.000 Besucher wollen ihre Helden wie Radiohead, The Prodigy oder Peter Fox live genieszlig;en oder Überraschungen wie die exotisch anmutende Grace Jones und die total verrückten Ska-P entdecken, um unvergessliche Tage zu erleben.

Prallster Sonnenschein und gefühlte 40 Grad erwarten die Besucher am ersten Tag, die besten Bedingungen um den Tag mit einem gemütlichen Bad in der Traisen zu beginnen oder an dessen Ufern mit Freunden abzuhängen. Als günstig zum Planschen im kühlen Nass erweisen sich dabei die zahlreichen Staustufen und Schuttinseln in dem plätschernden Gewässer. Für die Sicherheit sorgt neben den Männern in Gelb auch noch der eigens aufgewartete Wasserschutz. Auf den beiden Bühnen bringen inzwischen die Eagles of Death Metal und Volbeat die Massen zum Schwitzen. Während die vier Amerikaner durch kraftvollen Rock und wilde Grimassen für zuckende Tanzbeine werben, bringen die frisch aus Kopenhagen eingeflogenen Volbeat das Fass endgültig zum Überlaufen. Keine Ahnung, woher die Fans angesichts der brennenden Sonne noch zu solchen Kraftakten fähig sind, aber es regnet Crowdsurfer nur so vom Himmel. Zuvor haben bereits die ebenfalls aus den USA stammenden AFI und Anti-Flag für punkige Stimmung gesorgt.

Wesentlich feiner spielen da Kasabian auf. Der gar nicht mehr so taufrische Stern am britischen Pophimmel weiszlig; live durch die rockigen Gitarrenriffs gepaart mit lieblich hartem Gesang und einigen Rave-artigen Elementen für Stimmung zu sorgen. Besonders das Posen scheint Sänger Tom Meighan im Blut zu liegen und so wedelt er abwechselnd wild mit den Armen oder unterstützt seine Showeinlagen durch furchtloses Herumstürmen quer über die Bühne.

Mit Rise Against betritt darauf eine Band die Bühne, die beweist, dass musikalisches politisches Auftreten durchaus mit einem guten Sound rübergebracht werden kann. Krachende Rhythmen sind halt immer noch ein Garant dafür, dass die Band und damit auch die Botschaft im Gedächtnis hängen bleiben. Und zu sagen haben die vier fleischlos lebenden Amerikaner so einiges. Insbesondere der Kampf gegen Rassismus und der Tierschutz liegen ihnen am Herzen.

Vom anderen Ende der Welt stürmt die australische Band Pendulum in Rauch gehüllt die Bühne. Mit schweren Beats im Gepäck krachen die exorbitanten Rhythmen aus der gewohnt zuverlässigen Soundanlage der Green Stage. Die explosive Mischung aus rockigen Gitarre mit einpeitschendem Elektrosound weckt wirklich den letzten St. Pöltener zur nachtschlafenden Zeit und lädt zum Mitfeiern ein.

Mit Berliner Hip-Hop von einem anderen Stern bringt Peter Fox den Abschluss des Abends auf der Race Stage zu einem fulminanten Ausklang. Der Frontmann der legendären Seeed, welche der treue Frequency-Besucher vor zwei Jahren ebenfalls bewundern durfte, wandelt seit ungefähr einem Jahr auf Solopfaden, um seine bombastische, stimmlich betonte musikalische Botschaft unter das Volk zu bringen. Auch wenn der smarte Musiker seinen Erfolg scheinbar inzwischen nicht mehr in vollen Zügen genieszlig;en kann und sich im nächsten Jahr wieder stärker auf seine Band konzentrieren möchte, so weiszlig; der heutige Auftritt die zahlreichen Massen vollends zu überzeugen.

Der Freitag beginnt damit, womit auch der Donnerstag angefangen hat, tausende schwitzende Fans verteilen sich über das gesamte Gelände. Mal eine Abkühlung genieszlig;en, mal den entleerten inneren Akku am Campingplatz auftanken, um dann vor den Bühnen umso härter mitzufeiern. Einen guten Einstieg gab dabei der leicht exzentrische Jarvis Cocker ab. Der als Anti Michael Jackson Fan zu Ruhm und vermeintlicher Ehre gelangte Frontmann der Britpop Urgesteine Pulp hat schon so manche Geschichte hinter sich, was deutlich auf seinem nicht mehr ganz taufrischen Gesicht abgelesen werden kann. Allerdings ist das Rebellische gegen alles Marktschreierische im Musikbusiness im Laufe der Zeit wohl ebenfalls etwas dem schnöden Mammon geopfert worden, was ein Hollywood Auftritt mit dem Zauberlehrling aller Klassen Harry Potter nur zu gut bewiesen hat. Verblieben sind dem Mimen aber immerhin noch die traurig melancholische Stimme des Pophimmels und damit weiszlig; er auch heute noch voll ins Herz zu treffen.

Die ganz groszlig;e Ochsentour macht gerade Little Boots alias Victoria Hesketh durch die Musikarenen der Welt durch. Die Einen nennen das mediengesteuerten Hype, die Anderen erfreuen sich einfach an dem herrlich frischen Synthiepop mit der frechen blonden Stimme. Da gehen es die sich anschlieszlig;enden Kettcar schon etwas gediegener an. Melodiöse Melancholie schallt aus Hamburg herüber und beglückt die Fans so sehr, dass sich Sänger Marcus Wiebusch nur noch mit dem Ausspruch zu helfen weiszlig;: Wir sind aus dem hohen Norden, so viel Liebe vertragen wir auf einmal nicht! Das Publikum versteht die Anspielung und geizt nicht mit lautstarken Liebesbekundungen zwischen den einzelnen Songs.

Aus den Tiefen der 80er auferstanden betritt mit Marc Almond eine der Legenden des heutigen Tages die Green Stage. Der ehemalige Soft Cell Sänger hat nach seiner Genesung von einem schweren Autounfall wieder richtig Fahrt aufgenommen und überschwemmt das dahinschmelzende Publikum mit seinem gefühlvollem Sound. Ein Best Of seiner schier unendlichen Musikkarriere liest sich wie das Who-is-Who der Chartlisten. Dabei tritt der bescheiden auftretende Brite so gar nicht divenhaft auf, sondern lässt lieber seine reizvollen Klänge für sich sprechen.

Wo der Abend schon so legendenhaft begonnen hat, wird mit dem abschlieszlig;enden Auftritt von Grace Jones der showtechnische Höhepunkt des Festivals aufgeboten. Die mittlerweile über 60 Lebensjahre sieht man der fesselnden Erscheinung kein bisschen an und so weht ein Hauch von James Bond über die Bühne, als massenweise Fans gebannt das Dargebotene verfolgen. Bei jedem Stück mit einem anderen Kostüm ausgerüstet dreht die Diva des Festivals perfekt auf ihren 15 cm Absätzen ihre magischen Runden. Umspielt von einem Meer aus Laserlichtstrahlen umschmeichelt die wohlige Stimme begleitet von aufpeitschenden afrikanischem Sound das staunende Publikum. Ein Blick in die strahlenden Augen lässt sie augenblicklich zur Herrin über das Areal werden und jeder versteht jetzt den Titel ihres James Bond Film: A View to a Kill.

Mit Radiohead gibt es an diesem Abend noch ein Highlight eines jeden Fans des elektronisch angehauchten Alternatives zu bestaunen. Nicht die groszlig;e Party steht hier im Vordergrund. Statt dessen wird einfach genossen, wie die Balladen bei perfekter Lichtershow herunterrieseln und einmal wieder etwas Dauerhaftes hinterlassen. Musik zum Festbeiszlig;en und nicht mehr loslassen.

Was ist eine der Traditionen beim Frequency? Richtig, an zumindest einem Tag muss es regnen! Dieses Mal erwischte es den letzten Tag, an dem es beständig mal mehr, mal weniger von oben schüttete. Kein Wunder also, dass vom Pech Verfolgte schon vorschlagen, das Festival in Gegenden mit akutem Wassermangel wie die Sahelzone zu verlegen - da es garantiert regnen würde, hätte dies dann wenigstens einen gewissen Nutzen. Aber Spaszlig; beiseite, so kann jetzt erst eine der wahren Stärken des neuen Festivalgeländes ausgespielt werden. Der feste Boden vor der Race Stage und die benachbarten Hallen halten auch den verweichlichtesten Besucher bei Laune seine Füszlig;e halbwegs trocken. So kommt so manche Newcomerband zu einem unerwarteten Fanansturm.

Bei den schwedischen Sounds ist die Welt noch in Ordnung. Es kann sogar ein Hauch von Sonnenschein durch die Wolken erahnt werden, während Frontfrau Maja Ivarsson ihre rotzfreche Stimme zu punkigen Klängen verlautbaren lässt. Irgendwie ist in diesem Jahr die Blondinenquote extrem hoch. Mit den Subways tritt auf der Race Stage gleich die nächste mit weiblichen Reizen ausgestattete Band auf. Charlotte Cooper hat aber nicht nur ein mit Minirock ausgestattetes Auftreten parat, sondern bespielt neben ihren Gesangseinlagen auch noch den Bass der Indierocker. So hört sich der wahre Sound aus der nie zu unterschätzenden englischen Provinz an, geradlinige Songs mit einer Prise an Unbekümmertheit.

Die Editors ernteten in der Vergangenheit massenweise Vorschusslorbeeren für ihren Indie-Sound, der oft mit Joy Division und Interpol verglichen wird. Zeit wird es also, die vier Briten wiedereinmal live zu erleben, zumal sich der Sound der neusten Songs doch wesentlich schwärzer gestalten soll als das Bisherige. Kein Wunder also, dass trotz Einiges an Regen die Reihen dicht gedrängt sind, als die Band um Tom Smith die Bühne betritt. Die hohen Erwartungen werden in keinem Fall enttäuscht und so ist die ruhige aufwühlende Performance der Editors eine wahre Offenbarung für die gebannten Fans.

Mit Thomas D von den Fantastischen Vier ist einer der deutschen Hip-Hop Gröszlig;en auf der Green Stage präsent. Sein Sound ist weniger effektheischend, weniger partytauglich als der seiner Band, dafür aber umso nachdenklicher und persönlicher. Die Fans danken es ihm im passenden Regengeprassel mit einer andächtigen Mitsingorgie. Culcha Candela stehen da um Nichts nach und bringen ihren multikulturellen Reggae-Pop souverän unters Volk. Nicht weniger als sechs Sänger hüpfen wie wild über die Bühne und legen in Boyband Manier die ein um die andere Tanzperformance auf.

Spätestens seit seinem erfolgreichen Soloprojekt The Locos hat es sich für Pipi von den madrilenischen Ska-P zum guten Stil entwickelt, den Showmaster auf der Bühne zu spielen. Der spanisch heiszlig;e Punk wird also exzellent gewürzt mit den diversen Einlagen des verrückten Entertainers. So wird gleich am Anfang beispielsweise die versammelte Bühnencrew von einem äuszlig;erst gewaltbereiten Pipi in kompletter Polizeimontur vermöbelt. Das ist echter Ska-Punk auf den Punkt gebracht.

Der abschlieszlig;ende Höhepunkt des Festivals kann derweil auf der Race Stage mit The Prodigy gefeiert werden. Die englischen Wunderkinder versorgen seit Jahren die Konzerthallen der Welt mit ihrer einmaligen Musik. Diese explosive Mischung aus Techno und hochgezüchteten Beats begeistert immer wieder mit frischer Kraft. So erfindet sich der Sound quasi von selbst ständig neu und sorgt mit seiner elektrisierenden Kraft für einen permanenten Ekstaserausch. Ein wahrlich unvergesslicher Festivalausklang.

Das Frequency hat in St. Pölten einen würdigen neuen Austragungsort gefunden, an dem nicht nur entspannt gefeiert werden kann, sondern auch die exzellente Infrastruktur den extra Pluspunkt gibt. Da bleibt also die spannende Frage offen: Wo sehen wir uns nächstes Jahr wieder?

Stefan Kuper

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