Festival delikat

Es war immer wieder ein beeindruckend erhebender Blick: Die ersten Biegungen des abschüssigen Weges waren zurückgelegt, der sie Sicht einschränkende Hügel umrundet, als plötzlich der Blick auf das Tal freigegeben war und das komplette Spektakel ins Auge fiel. Der Salzburgring war wieder voller Musikenthusiasten, die sich wie Armeisen auf dem Asphalt vor und zwischen den fünf Bühnen tummeln. Begeisterungsschreie schallten durch die bewaldete Hügellandschaft mit den dazwischen sich auftürmenden Zeltstädten der Besucher. Es war wieder einmal Frequency Zeit.

So entgegen fiebernd der schnelle Schritt abwärts auch war, konnte er doch nicht das Staccato erreichen, welches dann unten vorgefunden wurde. Wie Karawanen ergossen sich die Besucherströme die Berge hinab zu dem verheißungsvollen Ort, um ihre frenetische Lust auf Musik befriedigt zu wissen. Wo ansonsten so Profanes wie Stinkendes in Form jeglicher Art von motorisierten Rennboliden um die steilen Kurven sauste, da brauste jetzt das wohlig klingende Stimmengewirr der Abertausenden in den Ohren. Als dann erst einmal der von einem Rinnsaal begleitete Weg durch den Tunnel bewältigt worden war, konnte die ganze Pracht in näherem Augenschein genommen werden. Ja, ein solches Musikfestival wollte nicht nur gröhlend und dem Bacchus verpflichtet abgearbeitet, sondern auch filigran genossen werden.

Für jene, die den Wunsch hegten, dem ganzen Gedränge direkt vor der Bühne auch einmal entfliehen und doch gleichzeitig mitten dabei zu sein, bot der Veranstalter eine so praktische wie hierarchisch benannte Einrichtung an: das VIP-Zelt. In einem auf luftigen Höhen am Hang schwebenden, mit idealer Sicht ausgestatteten Bereich konnte nicht nur ausgiebig geschlemmt werden, sondern auch hier oben stand entweder via direktem Blick oder mittels Liveübertragung dem disziplinierterem Musikgenuss nichts im Wege. Sollten die dort unten doch ihr Woodstockfeeling in allen Zügen auskosten. Hier oben schwebte man mit VIP-Zelt, VIP-Campingplatz und VIP-Parkplatz über den Dingen und genoss die vorzügliche Sonderbehandlung.

Zurückgekehrt in die harte Realität des sterblichen Festivalbesuchers, der mit einem Minimum an finanziellem Aufwand, möglichst viel Festival einsaugen mochte - und daher die kleinen Unannehmlichkeiten leger in Kauf nahm, die immer dann entstanden, wenn sich die Tausenden zum Hexensabbat vereinigten – ging die Konzentration gleich in medias res. Die eilig organisierte Timetable verriet das heutige Programm und stellte die unmögliche Aufgabe, alle die vorher auserkorenen Bands miterleben zu wollen, die sich auf die fünf Bühnen verteilten. Da wurde eine ausgeklügelte Strategie inklusive konkreter Planung entworfen, wann welcher Teil einer Show angesehen wurde, welche in der Praxis naturgemäß doch niemals eingehalten werden konnte. Zu verlockend war oftmals das gerade Genossene, um sich losreißen zu können.

Da musste beispielsweise die Entscheidung zwischen einem der Klassiker schlechthin R.E.M. und den wunderbar dumpfen ins schwärzeste Licht getauchten Digitalism getroffen werden. Am zweiten Tag trumpften als gleichzeitige Headliner Die Fantastischen Vier mit ihrer Dauerblödelshow und der stets etwas angeschlagen wirkende aber dafür umso einfühlsamere Adam Green auf. Am Samstag schließlich fiel die Entscheidung zwischen den von U2 geadelten Killers und den psychedelischen Klängen von Tricky. Kann das Leben aber auch manchmal ungerecht sein! Wenigstens spielten diese Größen des Musikbusiness mit ein wenig Zeitverzögerung, so dass zumindest ein abschließender Kurzbesuch des jeweils anderen Konzerts noch drin war.

Wäre da nicht der schon obligatorische Salzburger Regen gewesen, der dieses Fest alljährlich heimsuchte und zu panischen Blicken hinsichtlich des irgendwo auf irgendeinem dieser so malerischen Hügel feststeckenden Autos führte, so wäre der Musikgenuss schier unendlich gewesen. Nur wer schon einmal nachts diverse Stunden auf den rettenden Traktor gewartet hat, um dann mehr oder weniger ermattet, aber desto glückseliger die Heimreise anzutreten, der wusste, was eine zusätzlich Nacht Schlaf doch für eine Entspannung sein konnte.

So blieb nur noch der wundervolle Rückblick auf drei weitere unvergessliche Tage, während der Salzburgring – nach all den Aufräumarbeiten – erst einmal wieder in seinen musikalischen Winterschlaf verfiel, um im nächsten Jahr noch frischer und dann vielleicht ganz ohne Regen seine Gäste zu begrüßen.

Stefan Kuper

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