No Tomorrow

Malerisch schmiegt sich die Rennbahn in die umgebende Hügellandschaft und so wird ein gleichzeitig atemberaubendes wie gemütlich anmutendes Panorama geschaffen. Während es im größten Teil des Jahres eher ruhig zugeht, nachdem die Formel Eins und auch die großen Motorradrennen schon seit einiger Zeit nicht mehr hier Station machen, so ist es an diesem Wochenende vorbei mit der ländlichen Beschaulichkeit. Über 40.000 musik- und partyverrückte Jugendliche vornehmlich aus Österreich und Deutschland bereiten dem Salzburgring das alljährliche Spektakel, welches die Region aus dem Dornröschenschlaf zu reißen scheint. Die Wiesen auf den Abhängen rund um die Rennbahn leuchten bunt vor Zelten in der sich senkenden Abendsonne und die Menschenmassen schieben sich die steilen Wege hinab zu dem musikalischen Großereignis in Österreichs Mitte.

Das Frequency findet in diesem Jahr wieder an drei vollen Tagen statt und das wegen des im benachbarten Ausland ansonsten nicht begangenen Feiertags günstigerweise in der Wochenmitte, so dass keine anderen Festivals die Bandauswahl stören können. Dementsprechend vielfältig und hochkarätig besetzt zeigt sich das Line Up. Allen voran die im deutschen Sprachraum so ungemein beliebten Ärzte, welche bereits am Nachmittag für einen mit wartenden Fans vollbesetzten Wellenbrecher sorgen. Leider entschließt sich James Keenan, Sänger der als Headliner angesetzten Tool, auf ärztliches Anraten den Auftritt so kurzfristig abzusagen, dass trotz sechsstelligem Gagenangebots kein entsprechender Ersatz mehr gefunden werden kann. Das Angebot des Veranstalters, die Karten wieder zurückgeben zu können, wird aber dennoch kaum genutzt, schließlich lässt man sich durch die Wehwehchen eines überlasteten Frontmanns nicht den Spaß der dreitägigen Party versauen.

Ach ja, die Party. Die malerische Lage des Salzburgrings bringt auch einen gewissen Nachteil mit sich, nämlich die allzu steilen Ab- und vor allem Aufstiege zu den Campingplätzen. So scheint wohl so mancher zu lauffaul zu sein, um diesen Anstieg mehrmals pro Tag zurückzulegen. Statt dessen wird den Großteil des Tages lieber gleich auf dem Campingplatz feucht fröhlich - und mit so einigen teils extremen Flausen im Kopf - gefeiert und man begibt sich höchstens bei den Topacts zu später Stunden auf das Gelände. Eigentlich schade, spielt so mancher Geheimtipp doch auch schon am Nachmittag.

Wer die kleine Mühe des Kletterns nicht scheut, wird dafür mit einer umso entspannteren Atmosphäre auf dem Ring belohnt. Auch hier wird es so einiges an Abwechslung zu den Konzerten geboten. Neben den obligatorischen Merchandise- und Verpflegungsständen seien Bungeespringen, Bullenreiten, Menschenwuzzler und ein extrem entspannendes Zelt mit 100 Liegematten erwähnt, in welchem sich durchwegs erschöpfte Besucher zu aalen pflegen.

Traditionell regnet es ja auch immer einen Tag lang beim Frequency. Dieser Tag teilt sich in diesem Jahr vom Donnerstag Abend bis zum frühen Freitag Nachmittag auf. Davon lässt sich inzwischen aber niemand mehr die Laune verderben. Denn erstens sind die Veranstalter bestens darauf eingestellt, so dass schnell Regencapes verteilt und die kritischen Stellen mit rutschfesten Matten gesichert werden. Zweitens wird der Regen als Teil des Feierns integriert, so dass man zwar nicht mehr so gemütlich auf der Wiese sitzen kann, dafür sieht man aber umso mehr Gummistiefel bestückte Füße in Pfützen springen, von den legendären Schlammschlachten erst gar nicht zu reden.

Die Band mit dem längsten Name des Festivals treten derweil auf der Hauptbühne, wegen des Standortes mitten auf der Rennstrecke Race Stage genannt, auf. …And You Will Know Us By The Trail Of Dead waren bekannt für die komplette Zerstörung ihrer Instrumente während der Konzerte und deren wurfmäßige Verteilung im Publikum. Doch auch eine derart rabiate Band wird im Laufe der Jahre sittsamer und konzentriert sich mehr auf das Musikspielen als auf den reinen Showeffekt. Und diese kommt sehr schwermütig, geradezu brachial beim beschallten Publikum an, welches mit staunenden Ohren den wilden Klängen der ruhigen Herren lauscht. Welch ein Kontrast zu den sich anschließenden Eagles of Death Metal. Diese doch sehr auf ein Styling in Richtung Rockerband ausgerichteten Amerikaner um den mit äußerst charakterischen Oberlippenbart ausgestatteten Frontmann Josh Homme spielt wesentlich tanzbareren Indierock und verteilt eine grinsende Selbstironie im Areal.

Daniel Johns von Silverchair stellte das perfekte Idol aller rebellierender Teenager der 90er dar. So schien er jene Musik zu machen, mit der man Lehrer und Eltern gleichermaßen schockieren konnte. Modeerscheinungen à la Marilyn Manson gab es damals noch nicht und so schielten die aufmüpfigen Gemüter auf die drei Australier, deren Musik sowohl das aufbegehrende Herz befriedigte, als auch gut anhörbar war. Welch eine Enttäuschung wird da offenbar, wenn Johns jetzt gleich einer exotischen Kreuzung aus dem klassischen Klischee eines Friseurs mit einer etwas stark tätowierten Putzfrau auf der Bühne ins Mikro schreit. Lange Locken sind einem femininen Kopftuch gewichen, legendäre Hymnen wie Tomorrow sind verloren. Bei Liedern der guten alten Zeit wie Freak kommt eher der Drang zum Weinen als zum Headbangen auf. Überhaupt ist die Show und damit auch das Publikum wesentlich ruhiger und leiser geworden.

Groove Armada übernahm von der Second Stage herüberwechselnd die Aufgabe des Headliners von den absagenden Tool und machten ihre Sache nicht schlecht. Das jetzt wieder aufgewachte Publikum wurde durch den groovigen Sound so richtig in Rage gebracht und konnte eine ausgelassene Abschlussparty des ersten Tages feiern, um zwar sichtlich erschöpft, dafür aber desto zufriedener in ihre Zeltstädte zurückzukehren.

Der zweite Tag bringt zu Beginn, wenn auch auf verschiedenen Bühnen, gleich zwei Bands, deren Frontfrauen durch ihre exzentrischen gymnastischen Tanzeinlagen auf sich aufmerksam machen. Die schwedische Maja Ivarsson von The Sounds springt zum rotzigen Indiesound wie wild über die Bühne, spreizt zur Erbauung des männlichen Teils des Publikums die mit Hotpants wenig bekleideten Beine in alle Richtungen oder fasst sich in unzweideutiger Weise an die Brüste. Juliette Lewis der amerikanischen Formation Juliette And The Licks will zu ähnlicher Musik da nicht zurückstehen und entfernt sich im Laufe der Show das ein ums andere Kleidungsstück, so dass zum Ende hin nur wenig mehr als ein Bikini übrigbleibt.

Im späteren Verlauf des Abends setzt nicht nur der Regen ein, auch eine etwas ungewöhnliche Reihenfolge im Line Up sorgt für stürmische Gemüter. Nachdem die Beatsteaks eine ihrer fulminanten das Publikum mitreißenden Shows absolviert haben, ist der Wellenbrecher bereits gestopft voll mit wartenden Ärzte Fans. Doch zuvor ist dort irgendwie der Auftritt der legendären Nine Inch Nails im Wege. Diese trumpfen weniger durch fröhliche Partymusik denn durch schwermütigeren Industrial auf, welcher aber beim Großteil der Anwesenden auf weniger Gegenliebe stößt, so dass praktisch die ganze Zeit Sprechgesänge wie "Wir wollen die Ärzte sehen" von unten zu hören sind und das sinnliche Vergnügen, den Klängen von Nine Inch Nails zu lauschen, empfindlich stören. Als dann noch dazu kommt, dass eine neue Videowall als Teil des Bühnenequipments nicht anlaufen will, wird es Mastermind und Sänger Trent Reznor zu viel. Wütend werden diverse Mikroständer über die Bühne geschleudert und genervt beim Publikum nachgefragt, ob dieses etwa gelangweilt sei. Klar, dass dieses laut eigenem Bekunden auf der Bandwebsite einer der schlechtesten Auftritte vor dem definitv schlechtesten Publikum aller Zeiten ist. Es kann also jeder stolz darauf sein, der als alteingesessener Fan die Ärzte hochleben lässt und die Kunde darüber sogar international verbreitet.

Die sich anschließenden Ärzte überzeugen da mit einer über zweistündigen Performance wesentlich mehr. Bei der eher theatralisch aufgezogenen Show dominieren die diversen Slapstick Einlagen zwischen den Musikstücken, bei denen gefeixt und geflunkert wird, was das Zeug hält. Auch eine Würdigung des vor genau 30 Jahren verstorbenen King of Rock Elvis Presley in Form eines Medleys darf da natürlich nicht fehlen.

Wem das Ganze zu stressig ist, der kann zwischendurch einen entspannenderen Ausflug durch den die beiden Stages verbindenden Tunnel unternehmen, um den zwar nicht weniger aufwühlenden, aber doch etwas ruhiger angelegten Klängen von The Good, The Bad & The Queen oder Interpol zu lauschen.

Der dritte Tag beginnt wie der zweite, nämlich mit in Cape eingehüllten durch den Regen stapfenden Musikbegeisterten, welche mit The Locos einer Skaband der besonderen Art bewundern können. Eine riesige aufgeblasene Freiheitsstatue ziert die Bühne, während auf dieser ein verrückt gewordener Pipi herumfegt und das Publikum im Sturm erobert. Nicht weniger fulminant treiben es die drei Österreicher von 3 Feet Smaller derweil auf der Second Stage. Mit einer unmenschlichen Präsenz lockt deren schneller Punkrock Unmengen an Crowdsurfern auf die Köpfe der dicht gedrängt feiernden Fans.

Die sich anschließenden Madsen sind kurzfristig für die unentschuldigt absagenden +44 eingesprungen, haben da aber wohl etwas falsch verstanden, denn sie spielen etwas von MIA. an, als deren Ersatz sie sich vermeintlich wähnen. Die fünf Deutschen bieten aber auch trotz des kleinen Irrtums eine würdige Show, die das Publikum unvermindert heftig weiterfeiern lässt.

Einen ganz großen Auftritt legen die aus Leeds stammenden Kaiser Chiefs hin. Bei wunderbarem Garagerock wird das gegen den tief schwarzen Nachthimmel hell erleuchtete Publikum zum Mitsingen und -tanzen animiert. Spätestens als die ersten Reihen in Extase fallen, da sich Frontmann Ricky Wilson zu ihnen gesellt, ist der Höhepunkt erreicht. Den exzessiven Konzertabschluss bildet eine fast zehnminütige Bass- und Drumbegleitung bei der abwechselnd Bandleader und die Zuhörer gesangliche Einlage darbieten.

Das fulminante Finale des Festivals wird je nach Präferenz bei den wilden Billy Talent oder der elfköpfigen deutsch/internationalen Reggae Combo Seeed gefeiert. Während die weiblichen Herzen sehr in Richtung des kanadischen Sängers Benjamin Kowalewicz von Billy Talent lächeln und zuckend jede Bewegung seines smarten Körpers nachvollziehen, kommen die vornehmlich männlichen bei Seeed zur Genugtuung. Bei lässigem Sound greifen immer wieder andere Sänger ins Geschehen ein, begleitet von drei aufregenden Schönheiten, die die ohnehin schon volle Bühne mit wilde Gymnastikeinlagen bereichern.

Das Frequency definierte auch in diesem Jahr wieder den Begriff Festival von Neuem. Abgesehen vom ungnädigen Wettergott und der Zerstörung der sentimentalen Legende Silverchair lief alles sehr ausgelassen und störungsfrei. Jeder konnte dank ausgefeilter Organisation drei aufregende Tage bei exzellentem Musikprogramm verleben.

Stefan Kuper

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