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Tanz zu (Buda-)Pest
Das Electronic Beats Festival hat sich in seinen sieben Jahren zu einem fixen Highlight in der Szene entwickelt. Jedes Jahr gibt es zwei Ausgaben, von denen eine immer in Köln, die andere in einer anderen europäischen Großstadt (darunter in den vorherigen Jahren Amsterdam und Wien) stattfindet. Die diesjährige Schwester verschlug uns ins verregnete Budapest, genauer gesagt ins östlich der Donau gelegene Pest. In dem sich dort befindenden Stadtpark Városliget liegt die riesige Veranstaltungshalle Petofi Csarnok, wo zum Tanzen und Feiern geladen wurde. Gleich 2500 Fans aus Ungarn und den Nachbarstaaten fanden sich dazu ein. Dazu kam noch als Ehrengast ein Vertreter aus dem hohen Norden: Kühles Becks floss in Strömen und erfreute unsere Kehlen, auch für das leibliche Wohl war in Form von ungarischen Spezialitäten gesorgt.
Den Wirren der ungarischen Sprache und damit den unaussprechlichen wie unmerkbaren Bezeichnungen entronnen erreichten wir unter strömendem Regen völlig durchweicht die Halle. Aber der überwältigende Anblick, den das dargebotene Ambiente bot, ließ uns die Kälte und Nässe gleich vergessen: Ein gigantischer Raum wurde durchleuchtet von grünen und rosa Strahlern (wohl ein Tribut an den Sponsor), an der Decke befanden sich sechs überdimensionale Lichtquader, die abwechselnd rosa und weiß leuchteten. Wände und Fußboden waren in warmes Licht getaucht und zeigten psychedelische Abbildungen mit einem Hauch 70er-Feeling von Kreisen, Dreiecken, verschlungenen Linien, durchbrochen von glitzernden Lichtpunkten. An jeder Ecke fanden sich Lichtsäulen mit dem Logo des Festivals. Das Ganze bot ein derart relaxtes Bild, dass man sich gleichzeitig gigantomanisch und doch heimisch fühlte. Dazu kamen die einstimmenden Technoklänge von DJ Palontai, der die Halle bis zum Beginn der ersten Band in Stimmung versetzte.
Um kurz vor halb zehn betrat dann Yonderboi die Bühne. Der Ungar aus dem Örtchen mit dem klangvollen Namen László 250 km von Budapest war zwischenzeitlich mit seinem alten Label zerstritten und präsentierte nun endlich "befreit" mit seiner Band eine Mischung von Trip-Hop über schnellem Trance, Ambient bis jazzig poppigen Stücken. Unterstützung fand er dabei von einer dunkelhaarigen Schönheit, die abwechselnd für den Hintergrundgesang zuständig war, ein Tamburin im Takt ihrer schwarzen Locken erklingen ließ oder selbst alleine das Mikro ergriff. Den Höhepunkt bildete ein Duett der beiden unterlegt mit fast folkloristischen Tönen. Ein wirklich gelungener Auftritt, der die ungarische Emotionswelt in elektronische Klänge verwandelte und Lust auf den weiteren Abend bereitete.
Nach einer kurzen Pause, die mittels einer harmonischen Mischung aus Dance, Hip-Hop und auch fetten Beats überbrückt wurde, begrüßte das jetzt schon recht zahlreiche Publikum die Band Zoot Woman um den umtriebigen Frontmann Stuart Price. Dieser treibt sich nämlich auch noch als Produzent diverser internationaler Größen des Musikgeschäfts ŕ la Madonna, No Doubt oder The Killers um den Globus. Zoot Woman spielten anlässlich des Festivals an diesem Abend eine sehr elektronische Version ihres verträumten Synthiesounds, der stimmige Rhythmen und eingängige Beats mit klassischem Modern Pop verbindet. Das Ganze gewürzt mit einer kräftigen Prise 80er-Wehmut und schon war eine wunderbare Performance garantiert. Die drei wirklich sehr durchgestylt auftretenden Musiker erinnerten mich nicht nur ob des Sounds an Le Tigre. Dazu bei trug auch die in ein rosa Kleid gehüllte Bassistin und Sängerin. Ebenso wurde eine grandiose Lichtshow abgeliefert, deren abwechselnd grüne und weiße Spotstrahler die Bühne und den Nebel auf dieser im Lichtschwall ergleißen ließ. Und so war es kein Wunder, dass im Publikum vor allem bei den bekannten Hits "Living In A Magazine" und "Grey Day" nicht nur viele Hände, sondern auch Handys in die Luft gestreckt wurden, um die schönsten Momente festzuhalten.
Die anschließende Pause verbrachten wir mit der Erkundung der Halle. Und nach einer kurzen Stärkung und dem Abwimmeln "leicht" angetrunkener neuer Freunde, kamen wir schließlich zum Nebenraum, wo an einem Terminal Vertreter der neusten Handygeneration zum Testen ausgelegt waren. Über angeschlossene Kopfhörer konnten sich geneigte Besucher von deren Fähigkeiten überzeugen lassen, so war z.B. bei Midge Ure's "Breathe" trotz der lauten Umgebung der Klang jedes Atemzuges hörbar.
Pünktlich um halb zwölf kehrten wir zum Beginn des Auftritts von Nightmare On Wax vor die Bühne zurück, um den aus den Boxen wummernden Bass der Künstler zu genießen. Im Gegensatz zu den für meinen Geschmack etwas zu langsamen Stücken ihrer ersten Platten, bot der heutige Auftritt wesentlich mehr Tempo verbunden mit einem zum Mittanzen animierenden Gesang. Auch passten die karibischen Elemente und die dubartigen Elemente gut ins Konzept. Leider waren die Künstler nicht nur hinter den bei allen Bands zwecks Aufzeichnung vor der Bühne auf Schienen hin- und herfahrenden Kameras – inklusive einem in der Mitte agierende Techniker, der dafür sorgte, dass die beiden Kameras nicht zusammenstoßen – verdeckt. Zusätzlich versteckte sich die Truppe hinter einem überdimensionale DJ-Pult, reichlich Nebel und tiefschwarzen Sonnenbrillen.
Das schadete dem Sound aber keineswegs und so groovten Nightmare On Wax die Halle in wilde Verzuckungen und ungezügelte Leidenschaft. Der Schalldruck der wirklich extrem lauten Beats blies dabei das Publikum fast aus den Schuhen und ließ die Blätter der Bäume im Városliget Park im Takt sterben. Ein wirklich erinnerungswürdiger Auftritt, der allen noch lange in den Ohren nachvibrieren wird.
Die beeindruckendste Performance des Abends sollte bald danach folgen. Auf den Start der Technobeats des Münchner DJ Hell schien das trendy bis luxuriös gekleidete Publikum den ganzen Abend gewartet zu haben. Hatte die versammelte scheinbar vergnügungssüchtige In-Gesellschaft Budapests schon den bisherigen Abend bei jeder Band kräftig mitgefeiert, kam nun ungeahnte Energie ins Spiel, die für uns ein bisher nicht erlebtes Maximum erreichen sollte.
Geboten wurden extrem gut abgemischte House Rhythmen mit Samples von z.B. New Order, die verknüpft wurden mit einem rappenden Sänger und wildem, gleichzeitig aufpeitschendem Trommelgewirbel, welches sekündlich dem Wahnsinn näher zu rücken schien und das Publikum zu einer im Takt schwingenden Masse verschmelzen ließ. Schwitzende Arme reckten sich in die Höhe, der Beat strömte durch den Raum, den Boden, die Wände, die Körper, die Köpfe und traf auf die partyversessene Meute, die die Halle wie ein gigantisches Monster in ein Tollhaus verwandelte: Pure Energie in jedem Winkel. Auf jeden, der die Halle betrat, preschte eine Flut hernieder. Man wurde förmlich zu Boden gerissen, nur um als Teil des Ganzen wieder aufzuerstehen und umbarmherzig mitten in das Meer aus zuckenden Leibern hineingerissen zu werden. Es war wirklich Musik wie eine Droge, der man sich nicht entziehen konnte.
So musste man beinahe froh sein, als der Spuk nach einer guten Stunde vorbei war. Doch noch wartete ein weiterer Höhepunkt auf uns. Boy George sollte sich am seitlichen DJ Pult die Ehre geben, um die letzten Blutstropfen aus der abgekämpften Masse herauszuholen. Geschickt unter einem buntromantischem Hut sein androgynes Gesicht getarnt, betrat Boy George seinen Arbeitsplatz und mixte einige gefällige Nummern, ohne aber Melodien seiner alten Tage mit einfließen zu lassen. Und mag es nun an den kraftsaugenden vorhergehenden Auftritten der anderen Bands oder an der schon recht vorgerückten Stunde gelegen haben, die aufgeheizte Stimmung von DJ Hell war zumindest verflogen und es wurde mehr gechillt als gefeiert. Und so fand die 80er Ikone auch ausreichend Zeit, die zahlreichen mit hoch ausgestreckten Armen kundgetanen Autogrammwünsche zu befriedigen.
Von Müdigkeit übermannt verließen wir anschließend den Ort des Geschehens, während die Unermüdlichen noch den Auftritt von Groove Armada bis fünf Uhr morgens verfolgten, und ließen uns von den musikalischen Eindrücken beglückt in die Federn fallen.
Stefan Kuper
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