festivalwelt.de / Reportagen / Donauinselfest
Pack die Badehose ein
Sommer in Wien. Es gibt zwei Möglichkeiten, dessen tropische Temperaturen zu überstehen: Entweder man flüchtet in den kühlen Norden oder bleibt in der heißen Stadt, um jede freie Minute auf der Donauinsel zu verbringen. An drei Tagen im Jahr ist dafür nicht einmal die Hitze der Anlass, das Donauinselfest lockt mit seinen Attraktionen. Wo sich sonst die Stadtbewohner auf Badetüchern wälzen stehen nun Bühnen, in der Wiese liegen statt sonnengebräunten Familien aufmerksame Zuschauer, wo noch einen Tag zuvor deren Kinder im Wasser planschten strecken Musiker ihre Füße ins kühlende Nass, umgeben von unzähligen Cocktailbars, an diesem Wochenende schon mittags gefüllt mit jung und alt.
Die Gründe sich in das bunte Treiben zu werfen lassen sich auf vielerlei Arten erörtern. Fangen wir mit der mathematischen Erklärung an: 3 Tage erlesene Musik, 300 auserwählte Bands, 22 einzigartige Bühnen auf 19 Inseln, über 20 Jahre Erfahrung, dazu 3 Millionen glückliche Besucher - und Zahlen irren selten. Dazu die Geiz-Methode: 0 Euro Eintritt überzeugen selbst den schlimmsten Festivalhasser. Der durchschnittliche Wiener hingegen wird sich schon allein durch all die angekündigten Headliner überzeugen lassen, ein Musikliebhaber durch die Line Ups der einzelnen Bühnen. In jedem Fall zeichnet sich dabei ein Problem ab: So schön es auch wäre, man kann nicht überall dabei sein.
Tag 1 - der heiße
Wenn ein Mensch einem anderen zu nahe kommt entsteht Energie und damit Hitze. Sind es gleich fünf, so wird etwa aus einer eisigen Winternacht ein gemütliches Beisammensein. Erhöht man die Zahl jedoch und drängt etwa eine Million Menschen auf einem Bereich zusammen, der das Atmen zeitweise schwierig gestaltet, so werden Funken sprühen, welche die Temperatur ins unermessliche steigen lassen.
Unser Tag in der prallen Sonne begann mit den Fortuna's Favourites, einer jungen Band aus dem südlichen Niederösterreich, deren Musik im Zeichen fröhlichen Britpops stand. Umringt von jubelnden Fans, stehenden, sitzenden und liegenden Bewunderern, lallenden Jugendlichen mit Luftballons und einem räderschlagenden Menschen namens Kalimero stellte die Bühne einen eigenen kleinen Bereich mit einzigartiger Atmosphäre im riesigen Areal dar. Somit diente dieses Konzert auch als Abbild des Donauinselfestes: Wunderbare Musik, gutaussehende Musiker, perfekt gelauntes Publikum. Nicht einmal die politischen Nachrichten im Hintergrund (Banner, Flugzeuge, Luftballonaufdrucke) noch die gleißende Sonne konnten die Stimmung trüben.
Danach bewunderten wir Jonas Goldbaum samt Band. Auch dieser Auftritt sollte voll und ganz überzeugen, mit aussagekräftigen Texten und hochkonzentrierten Musikern. Nach etwa fünf Liedern sollten wir jedoch das Hauptproblem dieses Festivals kennen lernen: die mangelnde Zeit. Denn gleich nebenan riefen No Way, eine Hardrockband mit primär optischen Qualitäten. Guns 'n' Roses und auch Aerosmith spiegelten sich jedem der rockenden Gesichter wider, lange zersauste Haare flogen durch die Luft, die überwältigende Härte der Welt schlug wild auf die Instrumente.
Allerdings zog es uns schnell wieder weiter, und so konnten wir noch den letzten Tönen von Peekaboo beiwohnen. Die sympathische Band hatte eine Menge Zuschauer um sich gesammelt, die sich auf einer Vielzahl von Holzbänken niederlassen und den melodischen Klängen andächtig lauschen konnten.
Einenhalb Stunden oder fünftausend Ellbogen später sollten wir auch die andere Seite des Donauinselfestes erleben dürfen. Im wörtlichen Sinne. Wo man sonst gemütlich am Donauufer entlangspaziert und bestenfalls ein paar Stadtmenschen auf Rollerblades ausweichen darf, standen nun Bühnen, Imbissbuden, Verkaufsstände, mobile Bars und eine Menge Besucher. Was grundsätzlich positiv erscheint kann sich jedoch als unpraktisch erweisen, sofern man auf ein bestimmtes Ziel in weiter Ferne zusteuert, anstatt sich mit der Masse in eine von vielen musikalisch interessanten Ecken treiben zu lassen. Irgendwann trotzdem am anderen Ende der Insel angekommen, erlebten wir noch die Schlussbeats der Reggaelegende Jimmy Cliff als auch die des bewegenden Auftritts von Joni Madden, bevor uns Blumentopf unter die Vielzahl ihrer Besucher lockten. Die Härte des Raps in Kombination mit dichten Nebelschleiern und der Finsternis der Nacht erinnerten uns jedoch schnell an Nena, die uns - nach einem kurzen Abstecher zum Woodstock Project - auf der Hauptbühne erwartete. Leider waren die Zeiten der 99 Luftballons lange vergangen, auf der Bühne tänzelte eine nicht-blondierte Shakira zu Technoversionen ihrer größtem Hits die sowohl Publikum als auch Hitze anpeitschten - und uns nach Hause.
Tag 2 - der volle
Jegliche Aussagen wie "So voll wie gestern wird es schon nicht werden" erweisen sich selten als korrekt. 1,2 Millionen Besucher an einem Tag lassen nicht nur die Temperaturen steigen, nein, die Erde bebt bei solch gigantischen Mengen. Was macht man an einem Tag wie diesen? Ab und zu seufzen, aber dennoch von Bühne zu Bühne eilen. Denn grundlos besuchen nicht so viele Menschen ein Festival.
Nach ein paar Stunden des gemütlichen Hin- und Hergelaufes durch die versammelten Massen hatten wir genug Stimmung in der volksfestähnlichen Umgebung aufgesogen, um uns völlig der Menge der Konzerte hinzugeben. Patchwork FM sollte unser erstes musikalisches Erlebnis des Tages werden - groovende Beats mit höchst alternativem Publikum. Noch alternativeres Publikum zeigte sich jedoch beim benachbarten Peter Cornelius, dessen Stimme uns zielsicher in Richtung Tomte trieb. Deren schöne Melodien und intelligenten Texte ließen uns das eben Erlebte schnell verdrängen. Ebenso spektakulär wurde auch der nachfolgende Auftritt der Sterne, ein Konzert mit perfekter Atmosphäre und sympathischen Künstlern. Nach ihrer Show war einmal mehr ein Ausflug zu einem zu den Temperaturen passenden Konzert angesagt: Iris Camaa und Kollegen mixten lateinamerikanische Rhythmen mit brasilianischer Lebensfreude, die uns auch während der kurzen Fototour zu S.T.S. im Herzen begleitete und erst zum Beginn von Element Of Crime wieder verließ. Die fünf Musiker aus Deutschland kreierten eine ganz eigene Atmosphäre und begeisterten mit lauten aber düsteren Klängen sämtliche Altersgruppen.
Tag 3 - der stressige
Nimmt man sich vor, vier Bands zur selben Zeit zu sehen, hat man die Wahl zwischen ein bis drei Enttäuschungen, ein bis drei Hindernisläufen, definitiv viel Ärger vor sich und im Endeffekt kaum Zeit, das was man eigentlich sehen wollte, bewusst wahrzunehmen. Sollte man wider Erwarten Fotos von allen vier (!) gleichzeitig geplanten Bands nach einem Tag wie diesem festgehalten auf seiner Speicherkarte vorfinden, werden sich Überraschungs- und Glücksmomente die Waage halten. Wenn auch nicht im Geiste, man war zumindest dabei.
Kreischende weibliche Teenager verheißen normalerweise nicht viel Gutes. Doch im Fall des Donauinselfestes sollte sich auf der Bühne nicht nur eines ihrer Idole ("Lukas, Lukas" - Wie war das mit "Hau den Lukas"?) einfinden, sondern gleich Dutzende von singenden Akteuren und auch ein ganzes Orchester. Die Vereinigten Bühnen Wien präsentierten ihr einzigartiges Programm. Wer lieber Rap als Musicals mochte, konnte gleich nebenan Ischen Impossible zujubeln. Die etwas andere Girlband (mit nur einem Herren am Mischpult) sorgte mit flotten Texten und rhythmischen Tanzeinlagen für eine tobende Masse.
Nun stand unser persönliches Highlight des Festivals auf dem Programm: Hooverphonic. Die Belgier rund um Geike Arnaert (im roten Abendkleid) spielten bezaubernde Songs aus allen Phasen ihres Schaffens. Leider holte uns irgendwann wieder die Realität ein: das Laufen ging los. Als erstes der besagten vier Bands erwartete uns Suzanne Vega, begleitet von einem Herrn mit Gitarre, ihren größten Hits und ihrer ausdrucksstarken Stimme. Das Konzert hatte die Qualitäten, eines der besten des Donauinselfestes zu werden - doch nicht für uns, wir mussten weiter. Denn die Jazzkantine hatte bereits losgelegt, mit ergreifenden Beats, mitreißenden Rapeinlagen, gutgelaunten Musikern und tanzendem Publikum. Auch hiervon mussten wir uns leider bald verabschieden: Such A Surge lockten uns zu sehr. Unbequemerweise auch Tausende andere - selten war es so schwierig, sich durch die Masse zu kämpfen. Die Ausdauer sollte jedoch belohnt werden - von einem kraftvollen Auftritt der in bordellrotes Licht gehüllten Braunschweiger. Das Publikum bebte, Fäuste wurden in die Luft gestreckt, Köpfe auf und ab geschlagen, Crowdsurfer flogen über diese. Herd dieser Aggression war die Bühne, von dieser man viele verschiedene Musikstile verpackt in antreibende Songs vernehmen konnte.
Erst als sich aus der Ferne die Klänge von "I'm So Excited" andeuteten, war es Zeit aufzubrechen. Denn in direkter Nachbarschaft traten die drei Damen von Le Tigre auf, bei denen wir den Rest der Nacht verbrachten. Mit ihren ungewöhnlichen Outfits und grundverschiedenen Stilen begeisterten sie das Publikum nicht nur durch ihre synthetischen Töne und lieferten einen perfekten Ausklang des Donauinselfestes.
Mitten im Herzen Wiens erstreckt sich in Form der Donauinsel die sommerliche zweite Heimat der Stadtbewohner und für drei schöne Tage im Jahr auch die der ostösterreichischen Festivalbesucher. Ein spannendes Programm lockt Jahr für Jahr: Von Reggae zu Rock, von Weltmusik zu Trip-Hop, von Techno zu Volksmusik, von Pop zu Oldies, von Metal zu House. Spaß, gute Musik und Unterhaltung sind garantiert - ein vorbehaltlos zu empfehlendes Festival!
Eva Fischer-Ankern
* Kommentare lesen/verfassen *
* E-Mail an den Autor * Eigenen Bericht schreiben * Zurück zur Auswahl *
|