Dark X-Mas

Der erste Wiener Schnee begleitete mich an einem eisigen Freitagabend auf meinem Weg in die geheiligten Hallen des Planet Music. Die jährliche Dark X-Mas Feier stand auf dem Programm. Mit uns feierten die österreichischen Gothic Bands Exit To Eden, Sharon Next, Childer und Heirstyle, welche gerade an einem gemeinsamen "Darkgoddess"-Sampler arbeiten. Gespannt betrat ich den Saal, wo sich bereits ein ausgewähltes Publikum der Wiener Szene versammelt hatte. Man schien sich untereinander gut zu kennen, waren doch oftmals Begrüßungsschreie und obligatorische Umarmungen zu vernehmen.

Um halb neun erschienen unter familiärem Applaus Exit To Eden auf der Bühne. Doch von ihnen war zunächst nur wenig zu sehen, da durch eine überdimensionale Videoleinwand die Sicht verdeckt wurde. Auf dieser waren undefinierbaren Szenen projektiert, die an eine hilflose Nacht der Verzweiflung in der freien Natur erinnerten. Nur von der Seite her konnte das Publikum einen Blick auf die zusätzlich durch reichlich Nebel getarnte Band erhaschen.
Nach ein paar der Gothic-rockigen gitarrenlastigen Songs, bei denen sich auch die meisten Metalfans wohl fühlen konnten, öffnete sich der "Vorhang" und die 4-köpfige Besetzung von Exit To Eden konnte durch die Rauchschwaden erblickt werden. Der Frontmann trug unter seinem Cowboyhut nicht nur sein langes schwarzes Haar links einseitig halbgeschoren, auch die Ketten an seiner schwarzen Lederkluft glänzten im diffusen Licht der Scheinwerfer.

So langsam füllte sich auch die Halle mehr und mehr. Nach einer halbstündigen Pause, in der neben altbekannten Gothic-Hymnen auch opernartige Arien zu vernehmen waren, war ein ehrfürchtiges Raunen zu vernehmen, als hinter wiederum heruntergelassener Projektionswand Sharon Next die vernebelte Bühne betraten. Zunächst trat einzig der in dunklem Anzug gekleidete Sänger vor den Vorhang und hauchte begleitet von feinen melodischen Synthie-Klängen ausdrucksstarke Worte in sein Mikrofon.
Dabei ließ er es sich nicht nehmen, gelegentlich seine Stimme mit ein paar Zigarettenzügen in rauchige Form zu bringen und diese mit einem Schluck Sekt herunterzuspülen. Die sanfte, doch gleichzeitig kräftige Musik und kribbelnde Stimmung erinnerten mich stark an mein letztes Deine Lakaien Konzert. Und so waren auch die ersten tanzenden Gestalten der Nacht zu beobachten, die die restliche Band begeistert begrüßten, als während des dritten Liedes die Leinwand hochgezogen wurde.
Die Show wurde jetzt durch einen zweiten Sänger für hallende Einlagen bereichert. Derweil konnte Helmut, der Frontman, mal lässig mit einem Fuß auf den Rearboxen die Fans mit einem magischen Blick bestreichend, mal artistisch seinen Mikrofonständer schwingend beobachtet werden. Eine besondere Einlage stellte eine überlebensgroße Kinderpuppe dar: Am Hals gepackt ließ der Sänger diese tief hinab von der Bühne ins Publikum baumeln – allerdings eleganter als Michael Jackson seinen Sohn in Berlin. Die Musik war sehr abwechslungsreich: Neben den bereits erwähnten Synthie-Klängen gab es auch rockigere Stücke oder Melancholisches mit elfenartigem Hintergrundgesang.

Nach kurzer Pause wurde der ganz in schwarz getauchte Saal einzig durch ein fackelndes Feuerspiel erhellt. Als dritte Band des Abends hatten Childer zur Begrüßung eine feurige Artistin auf die Bühne gebeten. Nach einem rockig-melodiösem Stück, das an die altehrwürdigen Rocklegenden der 80er erinnerte, wurde die Musik schneller und der charismatische kahlgeschorene Sänger peitschte die Menge mit seinem brüllenden Gesang auf. Ebenfalls stach Fabian, der große hagere Gitarrist mit schwarzer Sonnenbrille, ins Auge, ließ man dieses längere Zeit in Richtung Rauchschwaden wandern, so konnte man ihn beim Anheizen einer nach der anderen zusehen.
Abwechselung brachten weitere Zwischeneinlagen der leichtbekleideten Feuerartistinnen, welche elegant weihnachtliche Glühkerzen durch die Luft wirbeln ließen, mit gigantischen Feuerbällen um sich stießen und einen prächtigen schmiedeeisernen Kerzenständer in Form eines Baumes mit verschlungenen nach oben deutenden Zweigen über die Bühne schwenkten. Beim nächsten Stück änderte sich die Rollenverteilung der Bandmitglieder: Während der Gitarrist nun den Gesang übernahm, begleitete ihn der Frontman mit einer elektronischen Leier zu gemischt mittelalterlich-rockigen Klängen. Die tanzenden Vampirinnen im Publikum gerieten in Verzückung. Mit den einleitenden Worten: "Da jetzt fast Weihnachten ist, etwas Passendes: Passt, passt, passt..." wurde schließlich das letzte etwas härtere gitarrenlastige Stück gespielt.

Die letzte Band des Abends waren Heirstyle. Mit einem "Guten Abend! Guten Abend!" und einem "Dank an die anderen Bands für die charmante Aufnahme" begrüßte ein hübscher junger Mann sein Publikum nach dem ersten Song. Die Bühne war jetzt völlig in weihnachtliche Stimmung getaucht, mit warmen Lichter und einem mit Lametta geschmückten Kerzenständer. David, der charmante Sänger, trug seinen üblichen schwarzen eleganten Anzug, dessen Sakko er beim dem zweiten Lied zugunsten eines mit einem femininen Männerkopf bedrucktem weißen T-Shirts auszog. Unter dadurch hervorgerufenen hauptsächlich weiblichem Jauchzen folgte eine Vielzahl berauschender Songs: Unter anderem über Kokain und dessen Sehnsüchte hervorrufende Wirkung. Gesangliche Unterstützung lieferte der mit einem Megafon bewaffnete Clemens, welcher sich mit wilden Zuckungen vor seinem Keyboard und über die Bühne bewegte – erinnerte mich mimisch irgendwie an die legendären H-Blockx-Videos.
Der dritte im Bunde war ein mit enger Lederhose und Jacke im schwarzen Militäruniform-Design gekleideter Robert. Er war an seiner Klampfe zuständig für die zum Mittanzen animierenden Gitarrenriffs, die sich dezent aber wirkungsvoll unter die ansonsten rein elektronischen Klänge mischten. Mit einem Song über die Sehnsucht nach dem einen Gott endete ob der späten Stunde trotz zahlreicher "Zugabe"-Aufforderungen der mit nur unter zehn Liedern viel zu kurze Auftritt.
Wir durften ihren wunderbaren elektronischen Sound ja bereits bei ihrem Auftritt als Support von IAMX genießen. Dem Anlass entsprechend war das heutige schwarze Publikum natürlich ein ganz anderes als die kreischende weibliche "Wand" von damals. Dieser Auftritt war somit trotz aller seiner Kraft und Ausdruckstärke und der nicht minder begeisterten Fans, die dieses aber auf eine ganz andere Art zu zeigen pflegten, wesentlich beschaulicher und intensiver zu genießen als der damalige. Auch musikalisch war das Programm aufgrund des krankheitsbedingt fehlenden Schlagzeugers und der diesmal nicht anwesenden zweiten Sängerin Saskia leicht angepasst worden, was der Qualität des Auftritts keinen Schaden zufügte – im Gegenteil: Mir hat es sehr gefallen! Wir sind schon sehr gespannt, was Heirstyle demnächst noch auf die Beine stellen werden.

Stefan Kuper

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