Wenn "alternativ" einmal für "anders als die Masse" steht

Dass die Musiklandschaft stetig ihr Gesicht ändert, ist uns allen klar. Oft handelt es sich dabei um schrille Masken, manchmal zeigt sie auch die natürliche Ästhetik ihres wahren Ichs. Wenige Künstler bleiben alten Traditionen treu - weder den eigenen, noch denen ihrer Vorgänger. Die Vergangenheit weicht einem neuen überkreativen Wandel, der jeweils die Einzigartigkeit der Protagonisten beweisen soll und sich in ständig wechselnden Richtungen des Klingelton-Mainstreams manifestiert. Während sich jedoch die Einheitsbrut in ihrer jeweiligen Andersartigkeit übt, entfalten sich aus den verbliebenen Künstlern abseits des No Future/No Past-Denkens einige wenige, die das musikalische Vorwesen verehren und zu nutzen wissen, statt sich von all jenem zu distanzieren, was Musik als solche eigentlich erst interessant macht. Diese Weiterentwicklung geschieht in erster Linie dadurch, dass die Vergangenheit nicht durch gerade beliebte Gewinnerzielungskonzepte ausgetauscht sondern durch eigene Einflüsse ergänzt wird, was wiederum etwas ganz Neues entstehen lässt. In Wien widmet sich der Verein "Vienna Songwriting" genau dieser Musik abseits des Mainstreams, die auf wundervolle Art und Weise das bewirkt, was kaum ein Lied in jeglichen Charts vermag: Die Herzen der Hörer mit Freude zu erfüllen. Im Rahmen einer monatlichen Veranstaltung werden bekannte und unbekannte Künstler präsentiert, einmal im Jahr Blue Bird, ein größeres Festival, das Interessierten die Welt der Qualitätsmusik näher bringt.

In diesem November waren es gleich drei Tage, die uns soviel schöne Klänge schenken sollten: Drei verschiedene Locations boten eine erlesene Auswahl unterschiedlicher Künstler abwechselnder Stilrichtungen. In meinem Fall durfte ich den zweiten Abend des Festivals miterleben, der in der edlen Atmosphäre des Porgy & Bess gleich fünf Bands präsentierte. Jede dieser schaffte es, die gesamte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken, jeglichen Ansprüchen gerecht zu werden und eine nach der anderen neue Qualitätserwartungen für ihre Nachfolger zu setzen, die diese dann tatsächlich auch zu erfüllen vermochten.

Sanfte Lichter in warmen Farben umspielten die Räumlichkeiten des Clubs, illuminierten die hoffnungsfrohen Gesichter der in großen Mengen erschienenen Besucher, ließen die bereits glänzenden Augen strahlen. Menschen aller Altersgruppen saßen oder standen beisammen, mal tuschelnd, mal diskutierend, bis irgendwann die erste Formation des Abends, Barbez, ins helle Rampenlicht trat und sogleich alle Blicke fesselte. Nicht nur die Kleidung der Musiker war bunt, auch ihre Klangwelt beinhaltete eine Vielzahl von Einflüssen. Die Darbietung erschien durchwegs international wie familiär, mal fröhlich, dann wiederum nachdenklich.
Ihrem Auftritt folgte der sympathische Daniel Mölksmith samt Band, dessen gitarrenlastigen Balladen von vergangenen Jahrzehnten träumen und besonders die Herzen der weiblichen Zuschauerinnen schneller schlagen ließen. Diese trugen an diesem Abend übrigens meist nicht das festivaltypische Einheitsgrau, stattdessen dem Ereignis entsprechend edle Kleider.
Als dann James Harries das sowieso schon gleißende Weiß durch seine Präsenz erhellte, war es um die Sinne der meisten Anwesenden geschehen. Seine Stimme durchdrang und begeisterte jedes Gemüt, erzeugte eine gefühlvolle Gänsehaut-Stimmung.
Auch Flotation Toy Warning wussten das Publikum zu verzaubern, in ihrem Fall allerdings mit ganz anderen stilistischen Mitteln. Waren es bei James Harries noch die emotionalen, zeitlosen Balladen, die im Vordergrund standen, so klang nun alles elektronischer, experimenteller, mystischer. Besonders der jüngere Teil des Publikums schien höchst angetan, man umjubelte die Band gebührend und forderte Zugabe für Zugabe.
Kurz nach Mitternacht wurden die Lichtquellen abgedunkelt, eine geheimnisvolle wie erhabene Atmosphäre durchzog den vollen aber mittlerweile entspannteren Saal, in dessen Mitte nun die charismatische Band Botanica alle in ihren Bann zog. Düsterer, ergreifender Gesang mit eindringlicher Instrumentalisierung ergänzte die sinnliche Finsternis auf höchst ansprechende Art. Gleichwohl legten die Künstler viel Wert auf die Unterhaltung der durch die vergangenen Stunden ohnehin schon gutgelaunten Gäste, kommunizierten immer wieder mit diesen, holten gegen Ende der Performance einen jungen Mann auf die Bühne, der sein Glück kaum fassen konnte.

Irgendwann musste leider auch diese Nacht ein Ende finden und die Menschen zerstreuten sich um viele schöne Erinnerungen reicher in alle Richtungen. Draußen vor dem Porgy reflektierte der tiefe Schnee das sanfte Licht des Mondes, das all jene, denen dieser gehaltsvolle Festivalabend so viel gegeben hatte, heim geleitete.

Eva Fischer-Ankern

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